Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Karfreitag ist der seltsamste Feiertag, den man sich vorstellen kann. Zu bekennen, dass in einem Menschen Gott selbst zum Tod verurteilt und hingerichtet wird – in anderen Religionen wäre das schlichter Unsinn, ein Skandal oder geradezu eine Gotteslästerung. Und auch mir jagt diese Vorstellung jedes Mal eine Gänsehaut über den Rücken, wenn ich mir bewusst mache, was ich da eigentlich bekenne.
Gott – muss das nicht das Große, Mächtige, Unsterbliche sein, nach dem sich Men-schen zu allen Zeiten sehnen? Den Ängsten und Gefahren des Lebens ausgeliefert sind sie selbst, von einem Gott muss man doch erwarten, dass er darüber steht.
Aber der Gott, den die Bibel bekennt, will gar nicht darüber stehen. Er sucht nicht Abstand, sondern Nähe; er will nicht unsere Opfer, sondern unsere Liebe. Wie ein unglücklich Liebender umwirbt er die Menschen, und wie ein unglücklich Liebender wird er verschmäht.
Liebende kommen manchmal auf verrückte Ideen, um zu beweisen, wie ernst es ih-nen ist. Der Gott der Liebe wird ein Mensch unter Menschen, so sehr sehnt er sich danach, ihnen nah zu sein. Der Abstand zwischen dem ewigen Gott und dem sterbli-chen Menschen, er mag noch so groß sein, in der Liebe kommen sie gleichsam auf Augenhöhe: Der starke Gott macht sich verletzlich wie ein Liebender, bedürftig wie ein Mensch, sterblich wie ein Geschöpf.
Am Kreuz von Golgota scheint der Versuch Gottes, die Liebe der Menschen zu er-ringen, grausam gescheitert zu sein. Aber er wäre nicht Gott, wenn er sich von ir-gendeiner Macht, und sei sie der Tod selbst, vorschreiben ließe, wo seine Liebe zu enden hat.
Das uralte Machtspiel zwischen Liebe und Tod, am Karfreitag wurde es entschieden. Ein für allemal. Nicht dass es seither keine Kreuze mehr gäbe, es gibt sie, Gott sei’s geklagt, tausendfach… Am Ende aber wird die Liebe bleiben. Die Kreuze und Kreuz-wege der Menschen mit all ihrem Grauen, sie können nie mehr herausfallen aus die-ser Liebe, die es selbst mit dem Tod aufgenommen hat.
Karfreitag ist der seltsamste Feiertag, den man sich vorstellen kann. Weil er alles auf den Kopf stellt, was Menschen von Gott zu wissen meinen. Verstehen werde ich ihn nie, diesen Gott der Liebe, aber glauben will ich ihm.

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