Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Konflikte haben oft mit Macht zu tun. Um Macht geht es auch bei den Ereignissen, die zur Verurteilung und zum Tod Jesu geführt haben.
Da ist also die offizielle Macht, die, der man ansieht, dass sie mächtig ist, weil sie in Palästen wohnt und Eindruck Macht. Der Mann, dem diese Macht gegeben ist, heißt Pontius Pilatus, Prokurator ist er, heute würde man vielleicht Gouverneur sagen. Er wurde nach Palästina geschickt, in diese unruhige Provinz, um dort den römischen Kaiser zu vertreten und seinen Herrschaftsanspruch durchzusetzen. Er hat alle Mittel der Staatsgewalt in der Hand, er kann militärisch durchgreifen und jede Strafe ver-hängen. Und doch wirkt er hier seltsam unbeholfen mit all seiner Macht. Er ist kein besonders begabter Politiker und auch nicht durchtrieben genug, um sich in jeder Situation gut zu verkaufen.
Nun sitzt er also da und muss ein Volk in Schach halten, das er nicht versteht und das in ihm nur den feindlichen Besatzer sieht. Von oben bekommt er Druck und von unten auch. Er ist wirklich nicht zu beneiden, denn er kann tun, was er will, eine Seite hat er immer gegen sich. Pilatus mag vordergründig ein Mächtiger sein, in Wirklich-keit ist er ein Rädchen im Getriebe der Macht. Obwohl er das sichere Gespür hat, dass Jesus unschuldig ist, muss er ihn verurteilen. Um selbst an der Macht zu blei-ben, muss er an den Fäden der Macht tanzen. Hätte er seine Zweifel offen gezeigt, dann wäre er bald selbst weg vom Fenster gewesen.
In seinem Gewissenskonflikt greift Pilatus zu einer Geste, die mehr sagt als Worte: Nach dem Urteil gegen Jesus, hinter dem er nicht wirklich steht, muss er seine Hän-de waschen. Er behauptet zwar, dass er in der ganzen Sache unschuldig sei, aber die Geste sagt das Gegenteil. Dieser Widerspruch rührt mich immer wieder an, und ich habe richtig Mitleid mit diesem zerrissenen Menschen, den sein Überlebenswille antreibt und sein Gewissen anklagt.
Pilatus ist alles andere als ein Heiliger. Und trotzdem finde ich, er hat seinen Platz im Glaubensbekenntnis der Christen zu Recht, denn er steht für so Viele, die schuldig werden, an ihrer Rolle, an ihrer Macht und an ihrer Angst, Macht zu verlieren. Der Römer Pilatus, er will sich raushalten, und gehört doch in eigenartiger Weise dazu, mitsamt seiner Macht und seiner Ohnmacht, seiner Schuld, seinem Gewissen.

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