Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wo es zu Konflikten kommt, ist fast immer Macht im Spiel. Auch unter den Men-schen, die mit Jesus und seinem Prozess zu tun haben, geht es um Macht. Die Kar-woche erinnert daran.
Es ist ein Kräftespiel zwischen sehr ungleichen Gegnern: auf der einen Seite die rö-mische Staatsmacht, in der Person des Statthalters Pilatus – auf der anderen Seite die Bevölkerung des Königreichs Judäa, mit ihrem König Herodes, aber der hat nicht mehr viel zu sagen.
Es ist ein kleines Volk in einem kleinen Land. Den Herren in Rom wird es langsam lästig, weil es sich so gar nicht einfügen will in dieses riesige Reich, das der ganzen Welt seine Kultur aufnötigt und seinen Kaiser als Gott verehren lässt. In der Vergan-genheit war dieses Volk immer wieder zwischen die Interessen der Supermächte ge-raten und musste zusehen, wie es überlebte und seinen Glauben an den einen Gott bewahren konnte: erst die Ägypter, dann die Assyrer, und nun das römische Welt-reich.
In seiner wechselvollen Geschichte hat das Volk gelernt, bei solchen Kräftespielen mitzumischen und sich auf seine Weise zu behaupten. Jesus scheint nun doch nicht der ersehnte Retter zu sein, und was er verkündet, klingt für fromme Ohren geradezu lästerlich: Er muss sterben, das ist beschlossene Sache. Aber nur der römische Statthalter kann das Urteil sprechen, und der lässt sich von religiösen Argumenten nicht überzeugen. Gut, dann ziehen sie eben andere Saiten auf. Sie drohen Pilatus damit, ihn beim Kaiser zu denunzieren, wenn er gegen einen Unruhestifter nicht ent-schieden genug durchgreift.
Das Volk und seine Mächtigen, das ist bis heute ein spannendes Kapitel. Bei uns werden die Regierenden gewählt, aber oft ist trotzdem ein Misstrauen zu spüren. Und die Mittel, die die Leute damals eingesetzt haben, um unbequeme Entscheidun-gen zu sabotieren, sie greifen auch heute. Da gibt es Tricks und Drohungen (zum Beispiel mit der nächsten Wahl), und wenn das nichts bringt, kann man ja noch im Privatleben suchen. Irgendwas wird sich bei jedem finden, für das sich eine Zeitung interessiert.
Ich wünsche mir eine politische Kultur, in der Klartext geredet werden kann. In der beide Seiten nicht nur an ihre eigenen Interessen denken, sondern das Ganze se-hen. In der Politiker sagen, was sie wirklich wollen und was ihre Motive sind, und in der wir Wähler ihnen zutrauen, dass sie nicht nur Sachverstand haben, sondern auch ein Gewissen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=5756
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