Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Nehmen wir mal an, jemand hat etwas richtig Dummes gesagt, und ein anderer wur-de dadurch gekränkt oder enttäuscht, angelogen, gelinkt. Nehmen wir weiter an, die-ser Jemand sei nicht irgendwer, sondern eine Person des öffentlichen Lebens, deren Namen man kennt. Der Fehler wird bekannt, und schon fängt ein Spiel an, das fast immer nach demselben Muster abläuft.
Gut, sagt unser Jemand dann, es mag ein Fehler gewesen sein, aber doch nur ein ganz unwesentlicher; es ist ja so gut wie nichts passiert. Oder: Alle denken doch so, und ich hatte halt den Mut, es zu sagen; ich war doch nur ehrlich. Das dritte Muster heißt: Es war alles nur ein Missverständnis. Oder: Ich wurde mit Absicht missver-standen, weil man mir schaden wollte. Und wenn es sich halt gar nicht mehr vermei-den lässt: Es tut mir leid, wenn das so gewirkt hat. Das soll wie eine Entschuldigung klingen, bei Licht besehen ist es aber genau das Gegenteil: Ich mache den, der ge-kränkt ist, dafür verantwortlich – was kann ich denn dafür, wenn mein Verhalten ihn verletzt? Das ist alles andere als eine Entschuldigung.
Fast immer bleibt es bei solchen Strategien. Sie sollen helfen, nicht zugeben zu müssen, dass man einen Grund hat, sich zu entschuldigen.
Eine Entschuldigung geht anders: Es tut mir leid, dass ich dich damit verletzt habe; ich nehme das zurück und bitte dich um Entschuldigung. Aus, Ende der Ansage. Keine Begründung, keine Relativierung, keine Rechtfertigung.
Solche Entschuldigungen sind selten geworden. Woran das wohl liegt? Vielleicht daran, dass man heute keine Fehler mehr machen darf. Klar, wenn ich nur eine ein-zige Chance habe, muss ich unbedingt beweisen, dass ich alles richtig mache. Nur so bin ich unangreifbar. Fehler eingestehen und um Entschuldigung bitten kann ich dann, wenn ich hoffen darf, dass ich eine zweite Chance bekomme, und notfalls viel-leicht auch noch eine dritte.
Ich wünsche mir eine neue Kultur der zweiten Chance, eine Kultur der Vergebung. Denn Fehler schönreden zu müssen, ist nicht nur entwürdigend, sondern auch sehr anstrengend. Und wie befreiend, zugeben zu dürfen, dass man ist, wie Menschen eben sind, und dass man braucht, was alle Menschen brauchen: Wohlwollen im Ge-lingen und Erbarmen im Scheitern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5755
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