SWR1 3vor8

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„Wer an seinem Leben hängt, verliert es. Wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“
Mann, Mann, Mann was für Sätze! Sie sind aus dem Johannesevangelium und heute in den katholischen Kirchen zu hören. Furchtbar klingende Sätze, oft auch furchtbar missverstanden. Als Ausdruck von Lebensfeindlichkeit oder der Vertröstung auf das Jenseits. Im griechischen Original der Bibel ist es noch schärfer, dort heißt es: „Wer sein Leben hasst in dieser Welt, der wird es zum unendlichen Leben bewahren.“
„So nicht!“, sagt sich doch da jeder normal denkende und fühlende Mensch! Aber wie so oft ist diese Bibelstelle nur für sich betrachtet völlig missverständlich. Kennt man die Situation, in der sie gesagt wurde, sieht das ganz anders aus.
Was war passiert? Ein paar waren Griechen zu Gast in Jerusalem und wollten Jesus sehen. Weil sich herumgesprochen hatte, was er alles gesagt und getan hatte. Und über ein paar Ecken schaffen sie es dann auch Jesus zu treffen. Und auf wen stoßen sie? Auf einen Mann, der von seinem bevorstehenden Tod redet. Auf einen Mann, der zutiefst erschüttert ist, in kurzen abgehackten Sätzen spricht, den Himmel offen sieht und Dinge hört, die Normalsterbliche nicht verstehen. Und in dieser Erschütterung fällt der Satz vom Leben, das gewonnen wird, wenn man es verliert. Sie müssen Jesus in einem Zustand angetroffen haben, in dem er im Grunde seiner Seele erkannt hat, was dieser Satz für ihn persönlich bedeutet. Dass er sterben wird, damit andere leben können. In dieser Welt und gerade auch in der anderen. Das ist dramatischstes Leben, tiefster Glaube, aber auch eine zeitlose menschliche Erkenntnis, die sich immer wieder auch im Alltag bewahrheitet. Dass das Leben besonders intensiv wird, wenn es einem gelingt loszulassen. Dass das Leben auch davon lebt, wenn es sich verschenkt, sich hergibt. In großen Persönlichkeiten, die ganz für Gott und die Menschen leben. Oder in Momenten die nicht mit Worten zu beschreiben sind, wenn ein Mensch sein Leben für andere gibt. Aber auch in so genannten Kleinigkeiten des Alltags zeigt sich wie befreiend es ist loslassen zu können, wenn ich mich nicht an Dinge, Vorstellungen oder Menschen klammere.
Goethe hat diese Erkenntnis zwar negativ formuliert, dafür aber um so knapper und einprägsamer. Mit dem Spruch „Und solang du das nicht hast, dieses „Stirb’ und werde“ bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.“
Einen schönen Sonntag wünsch ich Ihnen! https://www.kirche-im-swr.de/?m=5701
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