Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW


Wenn man nicht mehr reden kann, kann man manchmal doch noch eines– nämlich singen.
Das ist die Erfahrung einer Tochter beim Tod ihres Vaters. Zum letzten Mal saß sie bei ihm in der Aussegnungshalle auf dem Friedhof. Sie wollte Abschied nehmen. Aber sie wusste nicht so recht wie, und sie wusste nicht so recht was.
Sie war auch nicht so zu Hause in der christlichen Tradition, als dass sie ein „Vater unser“ hätte sprechen können oder einen Segen.
Aber sie war Zeit Ihres Lebens viel gewandert mit ihrem Vater. Und da hatten die beiden auch viel miteinander gesungen. Als ihr das wieder einfiel, da sang sie in der Aussegnungshalle, ganz alleine für sich und ihren toten Vater:
ein Wanderlied.
Und zwar:

„Wohlauf in Gottes schöne Welt. Lebe wohl, ade.
Die Luft ist blau und grün das Feld, Lebe wohl, ade.
Die Berge Glüh’n wie Edelstein,
ich wandre mit dem Sonnenschein,
… ins weite Land hinein…“

Die Tochter kannte keine Gesangbuchlieder, die sie auswendig hätte singen können am Totenbett ihres Vaters. Aber ich finde es wunderbar, welches Lied ihr eingefallen ist. Und ich bin ganz sicher, dass es sie beim Singen auf eine ganz eigene Art und Weise getröstet hat. Einmal, weil es ein gemeinsames Lied war, das sie mit dem Vater verband und mit den Gefühlen Geborgenheit und Glück und Vertrauen. Dann aber auch, weil es so ganz schlicht und wehmütig den Abschied und das Loslassen beschreibt, das sie jetzt leisten muss.
Im Singen lässt sie den Vater los, lässt ihn in Gottes schöne Welt weiterziehen. Sie sieht das das schöne und weite Land Gottes regelrecht vor sich, in das er jetzt unterwegs ist. Und das tröstet sie.
Ich finde das gar nicht kitschig, sondern tief anrührend, welchen Trost das Singen solcher Bilder geben kann. Wenn beim Tod eines Menschen die Worte wegbleiben, dann kann man immer noch singen. Das hilft gegen die Wortlosigkeit und gegen das Verstummen. Es hat einen guten Grund, warum das Singen zu den seelsorgerlichen Schätzen eines Gottesdienstes gehört und warum es im Gesangbuch eine ganz Rubrik gibt nur mit Vertrauensliedern.*
Singen hilft beim Trauern. Nicht umsonst fließen die meisten Tränen bei einer Beerdigung dann, wenn gesungen wird. Und wenn mit den Melodien die Bilder und Erinnerungen kommen, dann kommt auch die Trauer ins Fließen. Und das ist gut so.

*Evangelisches Kirchengesangbuch:
Nr. 361- 383: Lieder zum Thema „Angst und Vertrauen“
Nr. 396 – 411: Lieder zum Thema „Geborgen in Gottes Liebe“
Nr. 516 – 535: Lieder zum Thema „Sterben und Ewiges Leben“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=5688
weiterlesen...