Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Eigentlich“ ist eigentlich ein schreckliches Wort. Für mich jedenfalls. Denn eigentlich er-innert mich an all das, was nicht so läuft, wie es soll. Eigentlich sollte ich weniger Auto fahren – das würde der Umwelt mehr nützen als die Grüne Plakette auf der Windschutz-scheibe. Eigentlich wollte ich mich nicht mehr ärgern über die blöde Kollegin. Eigentlich sollte ich weniger fernsehen und die gewonnene Zeit mit anderen Menschen verbringen… Aber… es gibt viele Gründe, es anders zu machen. Bloß: eigentlich weiß ich, dass ich da-mit nur meine Kompromisse und meine Schwächen entschuldige.
Jesus war anscheinend gegen Kompromisse. Das musste ein Mann erfahren, der sich ihm anschließen wollte. Aber vorher wollte er das seiner Familie erklären und sich verab-schieden. Dem hat Jesus gesagt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ (Lk 9, 62) Keine Kompromisse also für die, die in Gottes neue Welt gehören wollen. Kein „eigentlich sollte ich…“ wenn man ernst machen will mit dem Glauben.
Aber halt! Vielleicht gilt das ja erst für Gottes Reich, für Gottes neue Welt, die irgend-wann kommt, aber eben jetzt noch nicht ist? Da nehmen die Menschen Anteil am Schick-sal der anderen und keiner bleibt allein. Da muss keiner mehr traurig sein und keiner wird für sein Recht kämpfen müssen.
Bloß: unsere Welt ist leider nicht das Paradies und auch nicht das Reich Gottes. Und Menschen sind keine Engel. Und können und müssen auch keine werden. Jedenfalls nicht jetzt gleich und schon gar nicht aus eigener Kraft.
Mir scheint deshalb: Eigentlich ist doch kein so schreckliches Wort, denn „eigentlich“ hält die Erinnerung wach. Die Erinnerung, dass es anders und besser sein kann. Eigentlich hält die Fragen wach: warum geht es jetzt im Moment eigentlich nicht anders? Warum kann ich die Auseinandersetzung mit der Kollegin eigentlich nicht endlich klären? Warum kann ich nicht auf die Bahn umsteigen und CO2 vermeiden? Es kann ja sein, dass es da-für gute Gründe gibt. Dass es nicht anders geht – eben weil die Welt ist, wie sie ist und eben nicht das Paradies. Es könnte aber ja auch sein, dass ich bloß zu bequem bin. Mich rausreden will mit dem Hinweis auf scheinbare Vernunftgründe und Sachzwänge.
Wie der Mann reagiert hat, dem Jesus keinen Kompromiss gestatten wollte, das erfährt man in der Bibel übrigens nicht. Mich hat seine Geschichte jedenfalls daran erinnert, wie das mit dem eigentlich ist. Vielleicht kann ich das ja versuchen: öfter mal tun, was ei-gentlich gut wäre. Damit die Welt ein bisschen besser wird.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5620
weiterlesen...