Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ferien – schon beim Klang dieses Wortes erhellen sich die Mienen. Für viele arbeitende Menschen aber liegt über diesen Ferien- und Feiertagen ein grauer Schleier: „Zwangsferien“! Die Überstunden sind abgebaut, die Zeitkonten auf Null. Nun drohen Kurzarbeit oder gar Entlassungen. Bei einigen lag die Kündigung schon unter dem Weihnachtsbaum. Auch viele Leute aus der Zeit- und Leiharbeit brauchen gleich gar nicht mehr zu kommen. Was die Finanz-Jongleure an den Kapitalmärkten angerichtet haben, schlägt nun voll ins Kontor! Mit großer Sorge blicken ganze Belegschaften ins Neue Jahr.
Beim Propheten Jesaja lese ich im Alten Testament: „Die Weber erblassen, die Seiler sind niedergeschlagen, alle Arbeiter verlieren den Mut...“ (19,10). Die politischen Eliten im damaligen Ägypten hatten kläglich versagt, nun war auch noch das jährliche Nil-Hochwasser ausgeblieben. Das orientalische Wirtschaftswunderland steht am Rand einer Rezession. Wen trifft´s als Erste? Es sind immer die arbeitenden Menschen. Auch die werden sich damals gefragt haben: Für wen haben wir uns denn jahrelang krumm gemacht? Wer hat den Mehrwert unserer Arbeit abgeschöpft? An welchen Börsen sind die Gewinne verbrannt, wer hat sie verspielt und sich an ihnen bereichert, derweil wir nun den Arbeitsplatz verlieren?
Bei Betriebsversammlungen schaue ich in bestürzte, traurige und zornige Gesichter. Es fällt mir schwer, Worte der Ermutigung zu finden. Aber an zwei Ankern könnten wir in dieser stürmischen See festmachen: Die Produkte und Dienstleistungen aus Deutschland werden weltweit nachgefragt. Da wurde gute Arbeit abgeliefert. Darum zu wissen macht Mut, das schafft Würde!
Fatal wäre nur eines, wenn die Angst um den Arbeitsplatz in Depression und Resignation umschlagen würde und jeder nur noch an sich selber dächte. Die verständliche Wut angesichts der jetzigen wirtschaftlichen Lage muss sich wandeln zum Mut, solidarisch zusammen zu stehen und sich nicht auseinander dividieren zu lassen. Die Solidarität ist der zweite Rettungsanker.
Angst ist kalkulierbar, mit ihr macht man Geschäfte. Solidarität ist unberechenbar, mit ihr kann man nicht spekulieren. Sie platzt nicht wie eine Blase, sondern trägt durch – auch durch diese Krise.
Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen wage ich es, trotz der wirtschaftlichen Rezession der Botschaft der Engel in der Heiligen Nacht zu trauen: „Fürchtet euch nicht“.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5170
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