Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Sehnsucht.“ Was für ein seltsam zusammengesetztes Wort: „Sehnen und Sucht“. Ich sehne mich nach Geborgenheit, Liebe, Glück. Und dann die Sucht. Man versteht darunter eine krankhafte Abhängigkeit. Wie paßt das zusammen? Laut Duden ist die Herkunft des Wortes Sucht undurchsichtig. Unser Sprachempfinden verknüpft damit eher das Wort „suchen“. Suchen, sich sehnen – das paßt zueinander. Und diese „Sehn-Sucht“ hält uns unruhig und lebendig, ein Leben lang. Warum lässt uns die Sehnsucht nicht los? – Weil die Sehnsucht nach Leben und Glück maßlos ist, weil sie sich nicht zufrieden gibt. Ich stelle mir vor: Ich habe alles Erdenkliche im Leben erreicht. Alle Visionen haben sich erfüllt, alle Ideen konnte ich verwirklichen, alle Ziele erreichen. Dann wird es nicht lange dauern und ich würde weiter suchen, was mir noch fehlt. Und das glaube ich, kann nur Gott sein. Warum Gott? – Der christliche Glaube bekennt: Gott hat alles ins Leben gerufen. Und zwar: aus dem Nichts. Das klingt so theoretisch wie kalt. Wie auch immer sich alles entwickelt hat und geworden ist – halte ich diesen Gedanken für wichtiger: Gott hat alles geschaffen: „ex amore – aus Liebe!“ Darauf bringt mich ein Wort aus der Weisheit des Alten Testaments: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast . . . du Freund des Lebens.“ (Weisheit 11,24-26) Und diese Liebe zieht mich an, hält mich in Atem. Gott und seiner Liebe gilt letztlich meine Sehnsucht. Die Sehnsucht nach Gott, der Hunger und Durst nach Gott – solche Erfahrungen sind nicht neu. Vor dreitausend Jahren betet jemand im Alten Testament, im Psalm 63: „Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir . . . Darum halte ich Ausschau nach dir.“ Ich wage den Gedanken: Unsere maßlose Sehnsucht ist Gottes charmante Art, sich in Erinnerung zu halten, wenn wir Gefahr laufen, ihn zu vergessen.

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