Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Einem anderen wirklich zu vergeben, ist schwer. Aber viel schwerer wird es oft nach der Vergebung. Dann schaffen es die Beteiligten oft nicht, neu miteinander anzufangen. „Ich hab ihm wirklich verziehen,“ hat eine Frau mir geschrieben. „Aber irgendwie steht es immer noch zwischen uns. Ich kann es einfach nicht vergessen. Dabei möchte ich so gern wieder gut sein mit ihm.“ Und wenn ich ihren Mann fragen könnte, würde er vielleicht so ähnlich sagen: „Es ist immer noch da. Ich bin ja froh, dass sie mir verziehen hat. Aber ich kann doch nicht für immer dankbar sein und irgendwie demütig.“
Warum ist es so schwer, neu miteinander anzufangen, wenn man sich doch vergeben hat?
Vielleicht, weil Vergebung zu wenig ist. Ich weiß, vergeben ist schwer genug. Manche Menschen sind schwer getroffen und verletzt vom anderen und geben sich trotzdem alle Mühe, weil die Gemeinsamkeit ihnen so wichtig ist. Trotzdem: Wo es einen Schuldigen gibt und einen, der verzeiht, da bleibt leicht eine Schieflage, auch wenn beide sich viel Mühe geben.
Aber was kann man denn noch tun, damit die Beziehung wirklich wieder gut werden kann: gleichwertig, ohne diese Schieflage, die entsteht, wenn einer sich zum anderen hinunter beugt und verzeiht. In der Bibel gibt es viele Geschichten, die von Vergebung erzählen. Und da fällt mir auf: Wo Jesus einem Menschen vergibt, da wird oft noch von einem weiteren Schritt erzählt. Von einem Auftrag. Einem neuen Projekt. Nehmen Sie die Geschichte von Petrus, der so viel versprochen hatte und nichts halten konnte, der Jesus verleugnet und im Stich gelassen hat. Es gibt eine Aussprache zwischen den beiden Männern, erzählt die Bibel (Joh 21, 15ff). Und dann kriegt Petrus einen großen Auftrag: er soll sich um die kümmern, die nach Jesu Tod sonst niemanden mehr hätten. Jesus nimmt den Mann, der doch so jämmerlich versagt hatte, wieder ganz ernst. Er sagt nicht: zeig erst mal, ob es jetzt klappt, bewähr dich erst, dann werden wir sehen. Jesus bittet ihn um seine Mitarbeit. Auf Augenhöhe gewissermaßen. Das ist wirklich ein neuer Anfang, finde ich.
Vergebung ist anscheinend zu wenig, wenn man neu miteinander anfangen will. Vergebung bleibt bei dem was war. Man braucht eine gemeinsame Aufgabe, ein Projekt, das nach vorne weist. Das gemeinsame planen und arbeiten führt zusammen. Man kann spüren, wie sehr man sich braucht und dass man sich auf den anderen verlassen kann. So wird aus Vergebung Versöhnung. Versöhnung ist auf die Zukunft hin ausgerichtet.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4919
weiterlesen...