Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wenn einer sein Ziel endlich erreicht hat – manchmal geht genau dann alles schief. Die Prüfung ist bestanden, bisher hat man an nichts anderes denken können – und jetzt? Feiern, klar, die Freude soll und muss ja irgendwie raus. Und sonst? Auf einmal gibt es mehr Stress als vorher, weil es irgendwie nicht weiter geht. Ehen werden besonders häufig geschieden, wenn das Haus gebaut ist und die Kinder da sind. Es ist alles erreicht. Und auf einmal stellt sich die Frage: war das alles? Auf die war man irgendwie nicht vorbereitet.
Der Weg ist das Ziel, das ist eine fernöstliche Lebensweisheit. Die sagt mir: unterwegs, auf dem Weg, da passiert das, was wichtig ist. Da spielt sich das Leben ab. Da ist das Leben. Nicht erst an irgendeinem Ziel, dass ich mir gesteckt habe. Und das ist keine Allerweltsweisheit. Das ist eine zutiefst christliche Einsicht. Leben ist Unterwegssein zu Gott. Da erst ist das Ziel, da erst kommt das Leben zur Ruhe. Zu der wunderbaren Ruhe der Ewigkeit Gottes. Die vielen Feiertage und Gedenktage im November, die erinnern daran. In einem alten Lied heißt es: „Ein Tag, der sagt dem andern, das Leben ist ein Wandern zur großen Ewigkeit.“ Früher haben die Leute das oft gesungen, vielleicht war diese Erinnerung gar nicht schlecht.
Denn wer sich das klar macht, der kommt nicht auf die Idee, dass es irgendwann nach der Prüfung, oder wenn das Haus fertig ist oder wenn endlich die letzte Umzugskiste ausgepackt ist, schon alles erreicht ist. Das Leben geht weiter – auch dann. Es muss und es wird neue Etappenziele geben. Manchmal muss man sie neu suchen. Manchmal zeigen sie sich von ganz allein. Jedenfalls: Was still steht, wird starr und ist irgendwann nicht mehr lebendig.
Aber das ist doch ein schlimmer Stress, denken Sie jetzt vielleicht: immer unterwegs, immer gleich wieder los zu einem neuen Ziel. Ich habe das vor ein paar Tagen auch gedacht, als ich im Fernsehen gesehen habe, wie die ganze Welt Barack Obama zugejubelt hat nach seinem Wahlsieg. Nach zwei Jahren Wahlkampf hatte er sein Ziel erreicht. Und eigentlich fängt es doch jetzt erst an für ihn! Der arme Mann! habe ich für einen Moment gedacht – und fand, dass er ganz schmal aussah und erschöpft.
Aber er sei ein Teamarbeiter, habe ich in der Zeitung gelesen. Ich glaube, das ist wichtig, wenn man unterwegs ist. Dass man nicht allein auf dem Weg ist. Und die Etappenziele, die sind auch wichtig: die motivieren einen zu sagen: „Yes, we can!“ Ja wir können es schaffen. So geht man auch einen anstrengenden Weg gern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4918
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