Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wie es angefangen hat, weiß keiner mehr so richtig, erzählt eine Frau über ihre Familie. Ein Wort hat das andere gegeben. Es kam zum Streit zwischen den Brüdern. Einer hat den anderen verletzt. Und jetzt sind Jahre vergangen und kein Wort wurde mehr gewechselt. Alle leiden darunter. Aber jeder denkt, da kann ich sowieso nichts mehr machen. Soll doch der andere mal.
Schon in der Bibel gibt es solche Familiengeschichten. Da sind zum Beispiel die Brüder Jakob und Esau (1. Mose 27-32). Jakob hat Esau auf üble Weise betrogen. Sein ganzes Leben hat er ihm damit zerstört. Und dann ist Jakob abgehauen und hat sich nie wieder gemeldet.
Nach vielen Jahren will er dann doch wieder Kontakt zu seinem Bruder. Jakob ist mittlerweile ein erfolgreicher und angesehener Mann geworden. Er ist reich und hat eine große Familie. Aber vor seinem Bruder steht er mit leeren Händen da.
Wie kann er das, was geschehen ist, wieder gut machen?
Jakob will Esau große Geschenke machen. Ganze Herden von Schafen und Ziegen, Kühen und Kamelen schickt er ihm, um ihn milde zu stimmen. Aber er spürt, dass das allein nicht reicht. Es geht nicht nur darum, etwas abzugeben, gewissermaßen als Wiedergutmachung: Er muss auch etwas zugeben. Dass er damals einen Fehler gemacht hat und dass er schuldig ist.
Die Bibel erzählt sehr eindrücklich, was das für ein schwerer Kampf für Jakob ist. Wie er nachts mit sich und mit Gott ringt. Erst im Morgengrauen kommt er zur Ruhe.
Am nächsten Tag kann Jakob dann seinem Bruder entgegen treten. „Herr“ sagt er zu ihm. Weil er ihm Respekt erweisen will. „Bruder“ antwortet Esau. Und auf einmal ist ein Neuanfang möglich.
Mich beeindrucken zwei Dinge an dieser Geschichte: einmal dass Jakob bereit ist, so viel an seinen Bruder abzugeben, von dem, was ihm gehört. Das ist für mich kein Bestechungsgeschenk. Vielmehr lässt Jakob seinen Bruder dadurch teilhaben an dem, was er in den langen Jahren erlebt und erarbeitet hat. Er tut nicht so, als ob in der Zwischenzeit nichts passiert wäre. Er zeigt ganz offen, wozu er es gebracht hat. Und er ist bereit, das mit seinem Bruder zu teilen.
Und als zweites beeindruckt mich, wie Esau begreift, dass sein Bruder es ernst meint und wie er sich gleich darauf einlässt. Beide machen einen Schritt aufeinander zu. Dadurch wird es überhaupt erst möglich, dass Jakob seine Schuld eingestehen kann und sie sich wieder verstehen.
Wenn jeder einen kleinen Schritt nach vorne macht, dann sind sich alle schon ein Stück näher. So verstehe ich die Geschichte.

Vielleicht kann das ja auch heute noch Familien Mut machen, es noch einmal miteinander zu probieren.
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