Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Bei mir gibt`s nichts Neues“, sagt meine Freundin manchmal am Telefon. Und mir geht es genauso. Jeden Tag der gleiche Trott: aufräumen, kochen und spülen, mit den Kindern spielen und sie abends ins Bett bringen. Da scheint die Zeit manchmal still zu stehen. Und nichts ändert sich.
Meine Tochter sieht das ganz anders. Für sie bringt jeder Tag etwas Neues. „Halt Mama, da sind die Kaninchen“ schreit sie morgens, wenn ich in ihr Zimmer komme. Wir befinden uns heute scheinbar auf dem Bauernhof. Am nächsten Tag passe ich auf, dass ich nicht wieder auf die Kaninchen trete. Aber da ist schon wieder alles anders. „Stopp Mama, die Ampel ist rot.“ Jetzt stehen wir an einer befahrenen Kreuzung und ich muss vorsichtig raus finden, wo denn hier der Gehweg ist.
Kinder haben eine unerschöpfliche Phantasie. Und die lässt sich nicht eingrenzen. Da passiert immer wieder was Neues. Und wenn ein Schauplatz zu langweilig geworden ist, dann entsteht eben der nächste in ihren Köpfen. Aus Kleinigkeiten werden da ganze Welten, in denen sie leben.
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen“ (Mt 18,3), hat Jesus einmal gesagt. Und ich glaube, er hat damit genau das gemeint: dass Kinder sich nicht abfinden mit dem, was vorgegeben ist. Sondern dass ihnen immer etwas einfällt, was auch möglich ist. Und dass sie das ausprobieren, wenigstens in ihrer Phantasie.
Von den Kindern lernen, das heißt für mich: immer noch mit etwas Anderem rechnen. Auch dann, wenn alles still zu stehen scheint. Und sich vorstellen können, dass aus etwas ganz kleinem was ganz großes wird. So wie aus einem Kaninchen eben ein ganzer Bauernhof wird.
Zum Glauben gehört eine ganze Menge Kindsein dazu. Vor allem, wenn es um Gottes neue Welt geht, auf die wir Christen hoffen. Die ist oft nicht so klar zu erkennen: Da brauche ich Phantasie, wie die Kinder sie haben, wenn ich mir vorstelle, irgendwann wird überall Friede sein und alle werden genug zum Leben haben.
Aber genau diese Phantasie hilft mir auch. Wenn ich mir in Gedanken so eine friedliche Welt ausmale, dann sehe ich klarer, wo ich selber etwas dafür machen kann. Weil ich erkenne, wie das Leben eigentlich sein soll.
Dann merke ich, dass es auch in meinem Alltag viele Möglichkeiten gibt, etwas zu ändern. Das fängt schon morgens am Frühstückstisch an.
Und wenn ich mir dann noch vorstelle, dass mit diesen kleinen Änderungen eine ganze neue Welt entsteht, dann macht mir das Mut.
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