Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Der Quizkandidat bekommt die Frage vorgelesen. Es ist erst der Anfang, die Fragen sind noch leicht. Der Quizmaster, das Publikum im Studio und ich vor dem Fernseher, wir alle sind sicher, dass er das spielend schafft. Und der Kandidat selbst – stockt. Je länger er zögert, desto näher fährt die Kamera an sein Gesicht; er konzentriert sich, denkt laut nach, aber die Unsicherheit wird immer größer. Auch die gutgemeinte Hilfestellung des Quizmasters kapiert er nicht, er steht einfach auf der Leitung. Dann sagt er: Zuhause ist alles ganz leicht, aber wenn man hier sitzt und es drauf ankommt…
Nicht nur dem Kandidaten vor der Kamera geht das so. Wenn ich zeigen soll, wie man auf der Flöte das hohe D greift, dann komme ich sofort draus, obwohl es beim Spielen doch ganz von selbst da ist.
Albert Einstein hat gesagt: Der Fisch entdeckt das Wasser als letzter. Um etwas zu sehen und beurteilen zu können, brauche ich Abstand, sonst geht es mir wie wenn ich zu dicht vor einem großen Bild stehe und nur noch einzelne Pinselstriche sehe.
So ist das mit allem, sogar mit meinem Glauben. Ich kenne Zeiten, da stehe ich neben mir und denke: Warum glaube ich eigentlich? Und was glaube ich denn? Und was heißt das überhaupt – glauben? Und auf einmal weiß ich gar nichts mehr sicher und alles fängt an zu flimmern.
In solchen Momenten hilft mir das Wort vom Fisch, der das Wasser als letzter entdeckt. Es zeigt mir, dass es nicht an mir und meinem Glauben liegen muss, wenn mir manchmal alles fragwürdig wird, was mich bisher getragen hat. Und es gibt mir Mut, hin und wieder auch mal auf Abstand zu gehen. Ich muss nicht fürchten, den Kontakt zu Gott zu verlieren, wenn ich mal eine Weile nicht beten kann oder einfach nicht will. Ich darf sicher sein, dass ER mich auch dann umfängt und leben lässt – wie das Wasser den Fisch umfängt und leben lässt. Wenn ich mir das zugestehe und einfach aushalte, dass ich auch meinen Glauben nicht in der Hand habe, dann wird auch das vorübergehen, und irgendwann werde ich wieder Boden unter den Füßen spüren.
Der Quizkandidat hat dann doch noch die Kurve gekriegt und die Antwort, die eigentlich einfach war, gefunden. Der Fisch hat das Wasser entdeckt, wenn auch als letzter.

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