Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Zum 2000. Geburtstag des Apostels Paulus

„Gut, dass es da noch eine Gerechtigkeit gibt!“ – gemeint ist: im Himmel, bei Gott. Und das sagt man besonders dann, wenn es ungerecht zugeht auf der Welt oder wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen. Ich fürchte, dass wir da eine Gerechtigkeit in Gott hineinprojizieren, wie wir sie uns vorstellen. Und da schwingt mit: vergelten, vielleicht sogar rächen. Doch mit solchen Gerechtigkeitsvorstellungen werden wir Gott nicht gerecht. Trotzdem: Es müssen nicht nur solche Vorstellungen sein. Wann bin ich gerecht? Ich bin gerecht, wenn ich meinem Nächsten ohne böse Absichten begegne, ihm das Seine zugestehe und mich den Mitmenschen und der Schöpfung gegenüber korrekt verhalte. Das entspricht auch – laut Duden – dem althochdeutschen Wort „gireht“: geradlinig, richtig, passend. Wenn man das so sieht, dann kommt allerdings Gott nicht gut weg – zumindest, wie man ihn uns Älteren im Religions- und Katechismusuntericht noch beibringen wollte: „Gott ist gerecht, weil er das Gute belohnt und das Böse bestraft, wie es ein jeder verdient.“ – O Gott! Wie grausam! Ein solcher Scharfrichter könnte nicht bestehen – zumindest nicht, wie der Apostel Paulus die „Gerechtigkeit Gottes“ versteht. Gott würde bei ihm schlichtweg durchfallen, wenn er denn so wäre. Wie kein anderer hat Paulus den christlichen Glauben von Anfang an geprägt. Vor 2000 Jahren wurde er geboren. Für ihn ist Gott ein Gott der Juden und ein Gott aller Völker. (Römer 3,29) Und unter der „Gerechtigkeit Gottes“ versteht er seine Kraft, seine Macht, die sich in grenzenloser Liebe einmischt zugunsten des Menschen. Im griechischen Urtext steht dafür: „dynamis“. (Römer 1,16-17) Man braucht keine Übersetzung, um zu spüren, was damit gemeint ist: Energie und Schwung, Bewegung und Dynamik. Im Neuen Testament steht „dynamis“ für die lebensschaffende und lebenserhaltende Kraft Gottes. Sie möchte Menschen aufrichten, die am Boden sind; Mut machen, wo alles aussichtslos erscheint; neu ins Leben rufen, wo so manches abgestorben ist. (Zu allen Zeiten hat diese „dynamis“, diese Gerechtigkeit Gottes Menschen verändert und geheilt, ihnen Vertrauen und Zuversicht geschenkt.) Wir sind eingeladen zu vertrauen, dass Gott bis zuletzt seiner grenzenlosen Liebe zu uns gerecht wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=4774
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