Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es gibt verschiedene Gelegenheiten, mit sich selbst ins Gericht zu gehen, Bilanz zu ziehen.
Wenn Partnerschaften und wichtige Beziehungen scheitern, wird oft eine Krise erlebt. Grundlegende Sinn-Fragen werden aufgeworfen. Auch, wenn geliebte Menschen sterben.
Oder in der Lebensmitte ziehen viele Bilanz.
Eine Soll- und eine Haben-Seite wird aufgemacht. »Gelebtes« und »Ungelebtes Leben«. Wir können nicht alles beeinflussen, aber selbst wenn so einiges vorgegeben ist, unser Leben ist unausweichlich auch eine Folge von getroffenen und nicht getroffenen Entscheidungen.
“Als Gegenwärtiger ist der Mensch in die Not und die Freiheit der Entscheidung gestellt.“ beschreibt der Psychologe Albert Zacher dieses Phänomen. „Der Mensch ist gezwungen, in jedem Augenblick seines Daseins aus dem Offenen der Zukunft durch Wählen und Entscheiden „ungelebtes Leben“ und Wirklichkeit voneinander zu sondern.“ Interessant ist, dass „ungelebtes Leben“ Enttäuschungen und Hoffnungen, Träume und Wünsche hervorbringt. Ungelebtes kann unzufrieden machen. Psychologen beschreiben vier Weisen, wie wir Mögliches in Gelebtes und Ungelebtes scheiden.“: verzichten, verwerfen, versäumen, verpassen.
- verzichten heißt, unterlassen, obwohl es schwer fällt,
- verwerfen heißt, scheinbar unattraktive Möglichkeiten aussondern,
- versäumen heißt, im entscheidenden Augenblick nicht zugreifen,
- verpassen heißt, eine Chance die sich geboten hat, nicht wahrnehmen.
Wir haben also vier Möglichkeiten für wichtige Entscheidungen in unserem Leben: verzichten, verwerfen, versäumen, verpassen. Kein Wunder, das aus solcher Sicht bei der Bilanz vor allem das „Ungelebte Leben“ ins Auge und ins Herz sticht.
Mein „Gelebtes Leben“ besteht darin: beherzt zugreifen, klug auswählen, geduldig warten können, zufrieden und glücklich sein, mit dem was ich habe. Das bedeutet:
Erstens: Ich ergreife Gelegenheiten, Dinge zu tun, die mir Spaß machen, im Beruf und Privat.
Zweitens: Ich wähle bewusst aus, was mir und meinen Mitmenschen gut tut.
Drittens: Ich muss nicht immer alles sofort haben. Gut Ding hat Weil.
Viertens: Ein verpasster Zug gibt mir neue Gelegenheiten. Ich kann umdisponieren und ganz neu planen.
vgl. ZACHER, ALBERT: Kategorien der Lebensgeschichte. Ihre Bedeutung für Psychiatrie und Psychotherapie. Mit einem Geleitwort von Dieter Wyss (Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie), Berlin– Heidelberg – New York – London – Paris – Tokyo 1988, S. 65-69
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4684
weiterlesen...