Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Die Weihnachtstage sind vorüber, aber eine Frage bleibt:
Ist das Kind Jesus, das nach der Erzählung des Evangelisten Lukas in Bethlehem geboren wurde, nun wirklich der Messias, der dem alten Volk Israel verheißen worden war? „Welt ging verloren, Christ ist geboren“, so heißt es in einem Weihnachtslied . Aber für viele ist er nicht der, der die Welt verändert, der als Gottessohn den Tod überwindet und denen, die an ihn glauben, ewiges Leben bringt. Und für die Juden, die ihn seit Jahrhunderten erwartet haben, ist er nicht mehr als einer der vielen Lehrer, aber nicht der erwartete Messias.

Der israelische Schriftsteller Amos Oz erzählt, seine Großmutter habe ihm, als er ein Kind war, die Sache folgendermaßen auseinander gesetzt: Schau, die Christen glauben, dass der Messias einmal hier war und dass er zurück kommen wird. Die Juden hingegen glauben, dass der Messias eines Tages erst noch kommen wird. Darüber haben sie sich endlos gestritten, und es gab sehr viel Blutvergießen. Warum , fragte sie, kann nicht jeder einfach abwarten und staunen? Falls der Messias kommt und sagt: “Hallo, schön, euch wieder zu sehen!“ müssen die Juden nachgeben. Falls er aber sagt: „Hallo, wie geht ´s? Schön, mal hier zu sein!“ wird die gesamte christliche Welt sich bei den Juden entschuldigen müssen.

Ich finde, dass es gar nicht so wichtig ist festzustellen, wer irrt und wer Recht hat in dieser Frage. Weihnachten und die Feier der Geburt des Kindes – das ist ein neuer Versuch Gottes, die Menschen zu gewinnen für Frieden und Versöhnung und ihnen seine Liebe zu zeigen als Grundlage des Lebens. Schon mehrere Versuche hat Gott gemacht, etwa als er mit Abraham , einem einzelnen Menschen, ein neues Volk für sich zu schaffen anfing. Oder mit Mose, der die versklavten Israeliten aus Ägypten herausführte in eine neue Zukunft. Das gehört zum gemeinsamen Glaubensgut von Juden und Christen. Und sicher gab es immer wieder den Versuch Gottes, Menschen zu gewinnen. Nun also Jesus. Dass Juden und Christen über seine Person und seine Bedeutung unterschiedlicher Meinung sind, weiß ich. Von dem Erzähler Amos Oz lerne ich Toleranz gegenüber denen, die das anders sehen. Freilich ist für mich entscheidend, dass ich mich ganz auf das verlassen kann, was Jesus gesagt und getan hat. Wichtig ist, dass mir Gott in dem Menschen Jesus besonders nahe kommt. Immer fängt Gott klein an und immer wieder handelt er im Verborgenen, weitab vom Weltgeschehen und unter kleinen Leuten. Aber es gelingt ihm doch, dass das Besondere nicht vergessen wird: dass Gott sich besonders den Menschen zuwendet, die wenig zu lachen haben und ihnen nahe sein will. Das haben die alten Propheten immer wieder angesagt, das wird für mich an Weihnachten und der Geburt Christi handfest und sichtbar.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=455
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