SWR Kultur Wort zum Tag
„Nein, ich bereue nichts. Ich würde alles wieder genauso machen." Wenn Prominente in einem Interview so antworten, klingt das richtig cool. Vielleicht ist es auch ein wenig trotzig gemeint, wenn alle wissen, dass die Person schon viele Bruchlandungen hinter sich hat.
Doch mal im Ernst: Wäre es nicht schrecklich, wenn wir nichts bereuen würden? Ich will heute eine Lanze für das Gefühl der Reue brechen.
Zugegeben: Es fühlt sich nicht gut an, wenn ich etwas bereue. Ich muss erkennen, dass ich etwas hätte verhindern oder anders machen können. Vielleicht habe ich eine große Chance verpasst, die so schnell nicht wiederkommt.
Zum Beispiel hatten Freunde von mir eine große Reise geplant. Mit dem Schiff übers Meer in fremde Länder segeln. Doch ich hatte gerade die Schule abgeschlossen und wollte erst einmal sehen, welchen Weg ich nun einschlage. Deshalb habe ich abgesagt und mich auf Studienplätze beworben. Ja, und jetzt bereue ich damals nicht mutig mit an Bord gegangen zu sein.
Reue ist etwas anderes als Ärger oder Trauer. Wenn zum Beispiel bei einer Gartenparty ein Gewitter aufzieht, ist das ärgerlich, klar. Aber selbst die beste Planung kann nicht verhindern, dass mal ein Fest ins Wasser fällt.
Reue spüre ich nur, wenn ich mir bewusst mache, dass es Konsequenzen hat, wie ich entscheide – nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere. Ich bereue zum Beispiel, dass ich mich damals mit Matthias nicht ausgesöhnt habe. Zum Ende der Schulzeit hätten wir unseren Streit beenden können, doch so ist alles ungeklärt zwischen uns geblieben.
Wer niemals Reue empfindet, läuft Gefahr, die Augen vor der Realität zu verschließen. Reue zu empfinden ist ein Zeichen dafür, dass wir aufmerksam sind. Es zeigt, dass wir fähig sind, uns zu reflektieren und zu verstehen, wie wir mit anderen Menschen oder uns selbst umgehen. Es braucht feine Antennen, um wahrzunehmen: Es gibt Alternativen zu dem, wie ich es gemacht habe.
Für mich ist die Reue wie eine kluge Freundin: Sie schenkt mir reinen Wein ein und spricht auch meine Fehler an. So hält sie mich davon ab, dieselben Fehler immer wieder zu begehen. Manchmal kann ich sogar noch umschwenken und etwas wiedergutmachen. Dann sage ich: Ich bereue, dass ich mein Versprechen nicht gehalten habe. Können wir noch einmal neu anfangen?
Und die Reue zeigt mir, was mir am Herzen liegt. Ich bereue nur Dinge, wenn es um etwas Wichtiges geht. So lerne ich dazu. Und das Schöne daran: Wenn wir unsere eigenen Fehler sehen, fällt es uns leichter, auch anderen ihre Fehler zu verzeihen.
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