SWR Kultur Wort zum Tag
Als Kind habe ich davon geträumt, ein Held zu werden. Drachen besiegen, Abenteuer erleben – immer bereit, für andere durchs Feuer zu gehen.
Es ist anders gekommen. Ich lebe in Freiburg, fahre morgens mit dem Fahrrad ins Büro. Wenn abends noch Zeit bleibt, lese ich ein paar Seiten. Manchmal bin ich froh, dass mein Leben nicht so aufregend und anstrengend ist wie das eines Helden.
Trotzdem begegnen mir immer wieder Ratgeber, die mir erzählen: Sieh dein Leben doch mal als Heldengeschichte! Die Idee dahinter? Jeder von uns ist auf seine Weise ein Held.
Laut Ratgeber soll ich von meiner persönlichen Heldenreise erzählen: Wie ich mich als Kind auf dem Schulhof gegen Größere behaupten musste. Oder wie ich mich durch die Schulzeit gekämpft habe – trotz Pubertät und Ärger mit den Eltern.
Wenn ich mein Leben durch diese Brille betrachte, entdecke ich meine Stärken. Denn hat nicht jeder Mensch schon Abenteuer durchgestanden? Die Geburt eines Kindes – ist das nicht eine heldenhafte Leistung? Wer jahrelang unter einem schwierigen Chef ausgeharrt hat, hat sich eine Medaille verdient. Oder meine Bekannte Uschi, die viele Jahre ihre Mutter gepflegt hat. Sie hat dafür gekämpft, dass ihre Mutter auch im hohen Alter zuhause bleiben konnte, und hat auf vieles verzichtet, um ihr beizustehen. Das sind für mich die stillen Helden von nebenan.
Aus Heldengeschichten lässt sich noch mehr lernen: Wahre Helden sind nicht makellos. Sie scheitern, werden krank, müssen Niederlagen hinnehmen. Ihre Narben erzählen Geschichten – manche sind auf der Haut sichtbar, andere bleiben unsichtbar.
Natürlich sollten wir das Wort "Held" nicht inflationär verwenden. Es gibt die großen Namen wie Sophie Scholl, Nelson Mandela oder Dietrich Bonhoeffer, die alles riskiert haben. An ihnen können wir uns orientieren. Sie zeigen: Helden geht es um mehr als ihr eigenes Glück.
Egal ob große oder kleine Helden: Was denken Sie? Welche Momente in Ihrem Leben würden Sie als heldenhaft bezeichnen? Wofür haben Sie gekämpft?
Diese Perspektive kann überraschen. Vielleicht blicken Sie mit anderen Augen auf Ihre eigene Geschichte – und auf die anderer. Vielleicht sagen Sie demnächst zu jemandem: "Wie du das geschafft hast, das war wirklich heldenhaft!"
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