SWR4 Abendgedanken
Ich habe mich in eine Stadt verliebt! Sie liegt ganz im Norden von Deutschland; entdeckt habe ich sie, als ich im Herbst dort unterwegs war. Meine neue „Liebe“ heißt Arnis. Es ist die kleinste Stadt in Deutschland mit gerade mal 300 Einwohnern. Was mich an Arnis so begeistert? Die Lage und ein besonderer Weg. Arnis liegt auf einer Halbinsel, mitten in der Schlei. Die ist ein über 40 Kilometer langer Arm der Ostsee. Die Leute da leben fast alle in einer langen Straße, Haus an Haus und Garten an Garten. Und jeder Garten reicht bis ans Wasser. Und dann gibt es da diesen traumhaft schönen Rundweg um Arnis. Der hat eine lange Geschichte. Vor 300 Jahren war er ein Trampelpfad am Ufer. Die Bewohner haben ihn als Abkürzung zu ihren Booten genutzt oder wenn sie mit den Nachbarn schnacken wollten. So heißt das im Norden, wenn die Leute über den Gartenzaun miteinander reden.
Heute führt der einstige Trampelpfad direkt durch die Gärten der Bewohner „Wie toll ist das denn. Ich darf ganz ungeniert ein bisschen schauen, wie die Leute hier leben und die wunderschön gepflegten Gärten bestaunen.“
Ich denke an unseren Garten zuhause. Wir sind erst vor kurzem in ein Neubaugebiet gezogen und zwischen den Häusern gibt es eine große Gartenfläche. Ich finde das klasse, Kinder könnten durchspazieren und toben. Aber so bleibt es nicht. Gerade werden Grenzen gezogen und Hecken gesetzt. Ich hätte es nicht gebraucht. Aber so ist es halt vorgesehen.
Zurück in Arnis. Ich frage einen Einwohner, ob die offenen Gärten genutzt werden, zum Schnacken. Auch mit Fremden, die vorbeikommen. Das wäre doch wichtig, finde ich. Der sagt mir ehrlich: Mit den Nachbarn schon. Mit den Fremden selten. Denn im Sommer wird Arnis von Touristen überrannt. „Da brauchen wir unseren Rückzugsraum“, sagt er.
Das leuchtet mir ein. Und auch ich muss eingestehen, dass wir diesen Sommer nicht nur gute Erfahrungen gemacht haben mit dem da noch offenen Garten: Vor dem Haus haben regelmäßig Fremde geparkt und sind ungeniert über unseren Rasen spaziert. Und ein halbes Dutzend Hundehaufen haben wir auch weggemacht.
Ein offenes Haus, ein offener Garten, das ist also immer eine Gratwanderung. Und doch geht mir die schöne Stimmung in Arnis nicht aus dem Kopf, so ein klein wenig neugierig sein dürfen auf die Fremden hinter den schönen Gärten. Deshalb habe ich beschlossen: Ich werde im Advent zu Punsch in unseren Garten einladen, auf einen Schnack, über die Hecken und Zäune hinweg. Die Nachbarn auf jeden Fall und vielleicht auch die anderen, die gerade vorbeilaufen.
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