SWR3 Gedanken
In sieben Sekunden entscheidet unser Gehirn, ob wir einen Menschen eher nett oder zum Davonlaufen finden. Genauso ist es mit Situationen – blitzschnell evaluieren wir, ob es brenzlig wird oder doch entspannt bleibt.
Ganz ehrlich: Dass das so ist, geht mir mächtig auf den Zeiger. Ich will nämlich keiner sein, der andere immer direkt bewertet. Aber im Sommer war ich genauso. Ich war mit meiner Familie in Frankreich. Es war ein sonniger Tag und wir fahren gerade mit den Fahrrädern eine malerische Küstenstraße entlang. Links ein paar einsame Schafe, rechts Steilklippen und Meerblick. Mitten in dieser Idylle kommt uns plötzlich ein weißer Transporter in einem Affenzahn entgegen. Genervt rolle ich mit den Augen: „Was ist das nur für ein rücksichtsloser Kerl, dass der so rasen muss – hier sind Radfahrer und dazu noch Kinder!“
Als ich dann wenige Sekunden später höre, wie dasselbe Auto in der Ferne hinter uns mehrmals laut hupt, denk ich: „Der denkt wohl, dass er allein auf der Welt ist.“
Und wie noch die imaginäre Gewitterwolke über meinem Kopf kreist, kommt der Transporter wieder zurückgerast. Abrupt bleibt er neben uns stehen. Ein Fenster wird runtergekurbelt und das strahlende Gesicht eines Mannes beugt sich raus: „Schauen Sie mal, sie haben ihre Jacke verloren. Die muss ihnen weiter hinten vom Gepäckträger gefallen sein. Deshalb hab ich gehupt. Bonne Journée!.“
Und weg ist er. Konnte ihm kaum danke sagen. Aber an diesem Tag hat mir der liebe Gott mal wieder einen richtigen Aha-Moment mitgegeben. Und der heißt: „Urteile nicht – denn hinter allem und jedem steckt mehr als du sehen kannst.“
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