SWR4 Abendgedanken
„Wir sind Bettler, das ist wahr“. Das sind die letzten Worte im Leben von Martin Luther. Er hat sie am 18. Februar 1546 auf einen Zettel geschrieben, den man nach seinem Tod auf seinem Schreibtisch gefunden hat. Mich erstaunen diese Worte und sie berühren mich jedes Mal, wenn ich sie lese oder höre. „Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Dabei hätte Martin Luther sich doch gar nicht als Bettler fühlen müssen. Schon materiell nicht. Als er starb, war er kein armer Mann, er hatte geheiratet, hatte Kinder geschenkt bekommen und wohnte in seinem eigenen Haus in Erfurt. Aber auch sonst hätte Martin Luther stolz sein können auf alles, was er in seinem Leben geschafft hatte. Er war Doktor der Theologie, er war mit den wichtigsten Männern seiner Zeit befreundet, er hatte viele theologische Bücher geschrieben und sogar die ganze Bibel in die deutsche Sprache übersetzt. Er hatte sich mit Kaiser und Papst gestritten und dafür gesorgt, dass die Kirche begonnen hatte, sich zu erneuern. Martin Luther war eine berühmte Persönlichkeit geworden und von vielen hoch geachtet und verehrt. Und trotzdem hat er am Ende seines Lebens so einen Satz gesagt: „Wir sind Bettler, das ist wahr“. Ich glaube, er hat diesen Satz gesagt, weil er genau gewusst hat, dass es jetzt ans Sterben ging. Und er wusste: Wenn ich sterbe, dann nützt mir alles nichts mehr, was ich in diesem Leben geleistet und geschaffen habe. Wenn ich sterbe, muss ich alles zurücklassen: Mein Haus, meine Kinder, meine Bücher, meinen Doktortitel, mein Ansehen. Wenn ich sterbe, dann trete ich vor meinen Gott. Und Gott kann ich nicht mit meinen Leistungen beeindrucken, sondern ich bin auf Gottes Gnade angewiesen. Luther wusste, dass er am Ende seines Lebens Gottes Vergebung brauchen würde für alles, was er auch falsch gemacht und wo er anderen Menschen geschadet hatte. Und Luther hat manches falsch gemacht. Und manches in seinen Schriften geschrieben, das Unheil angerichtet hat.
Darum hat Luther gewusst: Er wird vor Gott wie ein Bettler stehen, angewiesen auf Gottes Gnade und Vergebung. – „Wir sind Bettler, das ist wahr“. Ach, was bilde auch ich mir manchmal so viel ein auf das, was ich tue und leiste und habe und kann. Aber vor Gott trete auch ich einmal mit leeren Händen. Dann hoffe ich darauf, dass Gott auch mir meine Schuld vergibt und mich trotz all meinem Versagen umarmt und sagt: „Willkommen, mein geliebtes Kind, in meinem Reich“.
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