SWR Kultur Wort zum Tag

30OKT2025
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Meine dreijährige Enkeltochter hat mir zum ersten Mal ein Bild geschenkt. Sie war richtig stolz. Ich übrigens auch. „Was hast du denn da gemalt?“, habe ich gefragt. „Kreise“, hat sie gesagt. Und tatsächlich waren auf dem Blatt Papier mit verschiedenen Farben eine Reihe von Kreisen übereinander gemalt. Das Bild hängt jetzt erst einmal an der Wand neben meinem Schreibtisch.

Für mich ist dieses Bild richtig wertvoll. Und beim Betrachten habe ich über die Frage nachgedacht: „Was macht denn eigentlich den Wert eines Bildes aus?“ Ist es die Kunstfertigkeit? Ist es der prominente Name des Malers oder der Malerin? Oder ist es am Ende die Beziehung zwischen Künstlerin und Betrachter – wie im Fall meiner Enkeltochter? Wahrscheinlich fließt in den Wert eines Bildes immer von allem etwas ein. Und je nachdem, was überwiegt, wird das Bild mit Stecknadeln an die Wand gepinnt. Oder es landet gut gesichert in einem Museum und lockt zahlreiche Menschen an.

Gleich das erste der Zehn Gebote verhält sich gegenüber Bildern sehr kritisch. Zumindest gegenüber all den Versuchen, Gott bildhaft oder figürlich darzustellen. „Du sollst dir kein Bildnis machen!“, heißt es da. Die irrige Vorstellung, dass hier Bilder im Allgemeinen gemeint sind, hat dazu geführt, dass Menschen im 16. Jahrhundert viele Kunstwerke in Kirchen kurz und klein geschlagen haben. Gemeint ist mit dem Satz aber etwas anderes. „Du sollst keinen Vorstellungen oder Darstellungen von Gott Raum geben, die du dann an seiner Stelle verehrst!“ Natürlich gibt es heute keine Götterstatuen mehr, die wir anbeten. Aber es gibt schon etliche Platzhalter für etwas, dem Menschen göttliche Verehrung zukommen lassen.

Es geht dabei um Abhängigkeiten, die nicht guttun, die gewissermaßen den Platz Gottes einnehmen. Deshalb kann ein Künstler sehr wohl seine inneren Bilder von Gott bildhaft darstellen. Im Bibelzyklus von Salvador Dalí ist mir das vor kurzem sehr eindrücklich vor Augen gestellt worden. Da tauchen in Andeutungen immer wieder seine Gottesvorstellungen auf – dunkle Schatten, aber auch ganz leuchtende Anteile. Und wer weiß: Vielleicht taucht Gott bald auch in einem Bild meiner Enkeltochter auf, wenn sie im Kindergarten eine Geschichte aus der Bibel erzählt bekommt. Ihre bunten Kreisformen, die ans Unendliche erinnern, könnten ja schon ein Anfang sein.

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