SWR3 Gedanken

25SEP2025
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Ein strahlendes Lächeln -  das schenkt mein Sohn dem Mann, der mich gerade um ein bisschen Kleingeld gebeten hat. Ich hab ihn schon von weitem gesehen. Seine kaputten Schuhe und die schmutzige Kleidung. Die verfilzten Haare. Ich will ihm kein Geld geben und schnell zu meinem Termin. Und entscheide deshalb blitzschnell, ihn möglichst gar nicht anzuschauen. Ich schüttle einfach den Kopf und will an ihm vorbei gehen.

Aber mein Sohn macht mir da einen Strich durch die Rechnung. Der Mann schaut ihn nämlich freundlich an und winkt ihm zu. Und mein Sohn reagiert wie er es immer tut, wenn jemand so Kontakt aufnimmt – eben mit einem strahlenden Lächeln. Mit knapp anderthalb Jahren hat er noch nicht viel Zeit gehabt, um die Schubladen im Kopf zu bauen, in die wir Menschen stecken. Und die darüber entscheiden, wie wir mit ihnen umgehen. Er sieht einfach einen Menschen, der freundlich zu sein scheint. Und meinen Sohn so strahlen zu sehen, hat mir mein eigenes Schubladendenken bewusst gemacht. Am Ende haben wir nämlich ein kurzes, aber wirklich nettes Gespräch mit dem Mann geführt.
Schubladendenken ist natürlich nicht nur schlecht. Es hilft mir, Menschen schnell einzuschätzen und mich vor Situationen zu schützen, die gefährlich werden können. Aber ich muss aufpassen, dass ich nicht nur die Schubladen sehe. Sondern auch die Menschen selbst. Die mehr sind als eine Schublade. Daran hat mich mein Sohn erinnert. Dass ich immer auch die Menschen sehen will. Vielleicht Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat. Aber vor allem anderen: Menschen.

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