SWR1 Begegnungen

Ich bin Manuela Pfann und sitze in meinem neuen Lieblingscafé, bei Ulrike und Frank in Plochingen. Ich liebe Kuchen und bin deshalb viel in Cafés unterwegs. Und das hier ist ein besonderer Ort. Während ich Erdbeerkuchen auf Goldrand-Geschirr genieße, läuft im Hintergrund Tracy Chapman, Musik aus meiner Jugendzeit. An der Theke steht Epf, der wohnt nebenan und kommt jeden Tag auf einen Espresso vorbei. Am Tisch gegenüber sitzt Eugen – sage und schreibe 94 Jahre alt. Und dazwischen zwei Lehrerinnen, die ihre Mittagspause hier verbringen. Eine ziemlich interessante Mischung. Ich frage Ulli, welche Leute hier vorbeikommen. Sie lacht.
Der Nachbar, der Epf, das ist ja unser Stammgast, der sagt immer: Wir sind ein Jugendhaus für Erwachsene geworden. Und irgendwie trifft es das so richtig.
Dass hier ein besonderer Geist herrscht, das spüre ich gleich. Das hat mit den beiden Wirtsleuten und der Geschichte des Cafés zu tun. Vor genau zwei Jahren haben Ulli und Frank eine alte Pizzeria umgebaut. Das Wichtigste dabei: Da muss unbedingt eine Theke rein.
So wie in Italien. Einfach reinkommen, an der Theke stehen, Espresso trinken, miteinander schwätzen.
Anfangs wollte Ulli vor allem ihren Mann unterstützen. Das Café war sein Ding.
Der Traum war eher der von Frank. Und der Frank hat halt mal gesagt, wenn er das nicht probiert, dann stirbt er unglücklich.
Ulli hat das ziemlich umgetrieben; denn von unglücklichen Menschen hat sie oft gehört. Sie hat viele Jahre im Pfarrbüro der Kirchengemeinde gearbeitet.
Der Pfarrer hat ja immer gesagt, wie oft er diese Geschichten am Sterbebett hört. Hätte ich nur, wäre ich nur … Und ich glaube, das ist was Schlimmes, wenn man das am Lebensende sagt, dass man viele verpasste Chancen hatte.
Jetzt sind die beiden also die Wirtsleute vom Café Deschawü; das ist Französisch und heißt so viel wie: schon mal gesehen. Mir wird klar, dass der Name des Cafés etwas bedeutet – Déjà vu, genau darum geht’: man sieht sich, man trifft sich, da fühlt es sich vertraut an. Und wenn ich mich umschaue, dann gilt das auch für die Einrichtung: Jedes Stück hier hat seine Geschichte. Der alte Polsterstuhl, die Tische, die Schallplatten, das Goldrand-Geschirr – das kenn ich noch aus Omas Zeiten. Neu gekauft haben die beiden nichts.
Es hat auch was mit Wertschätzung zu tun, den alten Sachen gegenüber. Wofür zum Beispiel meine Eltern viele Jahre gearbeitet haben, und ich kann sowas nicht wegschmeißen. Ich bin einfach so eine schlechte Wegschmeißerin.
Deshalb steht da jetzt auch die alte Uhr aus dem Elternhaus
Die hat ein Schlagwerk, also diesen Glockenschlag. Als ich den zum ersten Mal hier drin im Café gehört habe, das war schon mega emotional. Weil diesen Glockenschlag habe ich mein ganzes Leben gehört.
Ulli erinnert sich gerne an ihre Kindheit und Jugend zuhause
Es war ein einfaches Leben. Aber ich kann im Nachhinein sagen, es war alles da. Es war ganz viel Liebe da. Es war immer jemand da, der ansprechbar war.
Wenn Ulli heimkam, war gekocht und ihren Vater hat sie als Tausendsassa in Erinnerung, der war Schreiner.
Wenn ich einen Wunsch hatte oder irgendwas, mein Vater hat es irgendwo entweder hergezaubert oder selber gemacht oder repariert oder ich weiß nicht. Das war einfach so eine glückliche und sorglose Kindheit. Da muss Gott dabei gewesen sein. Also das kann man sich gar nicht anders erklären. Und dafür bin ich auch mega, mega dankbar.
Vielleicht auch ein Grund, weshalb es in ihrem Café ab und zu einen kleinen Gottesdienst gibt. Dafür muss man sich einen Platz reservieren, denn dieser Abend ist meistens ausgebucht. Danach gibt’s Pizza und wer mag, der bleibt und singt mit.
So wie wir es früher gemacht hat. Am Lagerfeuer mit Gitarre. Und wir haben gemerkt, da ist schon eine Sehnsucht da. Also, da kommen auch Leute, die hast du noch nie irgendwo gesehen.
Da packt Frank dann die Gitarre aus und begleitet, oft zusammen mit Freunden. Das ist seine Leidenschaft – Musik machen und alte Schallplatten.
Das hat sich rumgesprochen. Deswegen kommt auch Alex regelmäßig ins Café, er ist über 70, hat früher Bass gespielt in einer Band. Und jetzt immer mal wieder im Deschawü.
Ich sehe auch, wie das einfach diesen Menschen so glücklich macht, dass er hier so einen Ort gefunden hat, wo er mit dem Frank Musik machen kann. Sowas kann man nicht planen, das ergibt sich einfach.
Ich gehe rüber an die Theke, dahinter ist Franks Platz, zwischen dem Plattenspieler und der großen verchromten Kaffeemaschine. Von so einer hat er lange geträumt
Da gibt’s ein Bild von mir, da war ich zehn Jahre alt, in Rimini am Strand, da stand auch schon die gleiche Maschine.
Dieses Bild und die Sehnsucht hat er all die Jahrzehnte im Herzen getragen. Es ist ein Bild aus der Heimat seines Vaters; der ist in den 60er Jahren aus Italien gekommen. Hat der Traum sich jetzt also erfüllt?
Vom ersten Tag an seit ich hier bin, ist es für mich die Erfüllung. Es fühlt sich an wie 'ne Befreiung.
Und das kann ich Frank ansehen. Er hat den ganzen Tag ein Lächeln im Gesicht. Zuvor war er beruflich viel unterwegs, hatte den Betrieb seines Vaters übernommen und mit Stahl gehandelt. Eine ziemlich anstrengende Zeit. Aber jetzt ist alles anders.
Wir machen die Tür auf, gehen rein, ich mach’ meine Kaffeemaschine an. Es ist einfach so innerlich, so irgendwie angekommen.
Ich glaube, das geht nicht nur Frank so. Mir scheint, als ob ’ne ganze Menge Leute, die im Deschawü stranden, irgendwie ankommen. Und sei es nur für eine halbe Stunde – zum Beispiel mit Erdbeerkuchen auf Goldrand-Geschirr.
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