Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Stuttgart – und der Straßenverkehr. Als Radfahrer kommt man da schon manchmal in die Nähe einer Nahtoderfahrung. Es geht aber auch anders: Ich bin mit dem Rad unterwegs, will auf die Abbiegespur. Ich dreh mich mehrmals um, etwas hinter mir fährt ein Bus. Ich weiß nicht, wo er hinwill und er fährt auch nicht an mir vorbei. Ich rolle ein Stück weiter, dreh mich wieder um, der Bus fährt immer noch langsam hinter mir. Ich bin ein bisschen genervt und entscheide mich, auf die Abbiegespur zu ziehen. Kurz darauf zieht der Bus an mir vorbei mit genügend Abstand, der Fahrer hat ein dickes Grinsen im Gesicht und zeigt mir ein Daumen hoch.
Er hat aus Rücksicht auf mich gewartet. Und sich anscheinend gefreut hat, dass ich so umsichtig gefahren bin. Das verstehe ich in dem Moment. Ich merke mir die Geschichte und nehme mir fest vor, sie jetzt immer dann zu erzählen, wenn es mal wieder um den furchtbaren Straßenverkehr geht. Oder um andere Selbstaufreger. Denn ich gehöre ja auch zu denen, die sich gerne den Frust von der Seele reden oder sich gemeinsam über jemand anders aufregen. Das tut schon gut. Aber der Effekt ist, dass ich immer missmutiger werde – und darum auch erstmal voller Misstrauen auf den Bus hinter mir reagier, der ja eigentlich mit guten Absichten wartet.
„Lasst uns aufeinander achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken“ – dazu werden die Menschen im Hebräerbrief der Bibel aufgefordert. Ich finde, der Satz hat Kraft. . Denn andersherum funktioniert es ja auch: Wenn wir uns anspornen und uns gegenseitig von all dem Guten erzählen, was wir durch andere erlebt haben, dann verändert das meinen Blick in die andere Richtung: Dann rechne ich nicht mehr so schnell mit Rücksichtslosigkeit, sondern erwarte erstmal Gutes von dem Autofahrer hinter mir oder insgesamt: von den Menschen um mich herum. Das Gute weitersagen und sich selbst und andere anspornen zum Guten – mit einem Lächeln, oder einem Daumen hoch, wie der Busfahrer – gar nicht so schwer. Ich meine, das ist Nächstenliebe – mitten im Straßenverkehr – zum Nachmachen empfohlen.
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