Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Früher war ich ein christlicher Fundamentalist. Ich habe zum Beispiel Homosexualität für eine Sünde gehalten und daran geglaubt, dass manche Menschen in die Hölle kommen. Ich hab meine eigene Position lange nicht so extrem wahrgenommen. Bis ich auf einer christlichen Großveranstaltung war, gegen die demonstriert wurde. Da habe ich das erste Mal verstanden, dass das, was ich glaube, anstößig zu sein scheint. Am Rande dieser Großveranstaltung habe ich auf der Straße mit Leuten diskutiert, ihnen versucht zu erklären, warum ich die vermeintliche Position der Bibel zu Homosexualität und Sex vor der Ehe für richtig halte. Und habe mich mit anderen lautstark über einen SPIEGEL-Artikel empört, der unsere Veranstaltung in ein falsches Licht rückte.
Gegendemonstranten, Diskussionen, negative Presse – das alles hat damals nicht viel an meiner Position geändert. Die Abwehrmechanismen der Bubble, in der ich unterwegs war, haben funktioniert. Hat doch Jesus selbst schon gesagt, dass man uns wegen seiner Botschaft verfolgen wird. So einfach.
Bis ich meine Position hinterfragt und geändert habe, hat es lange gedauert. Auf einem Seminar während meines Freiwilligenjahres in Indien habe ich einen homosexuellen Pfarrer getroffen, der mich dazu gebracht hat, Theologie zu studieren. Und ich habe mich gefragt: Kann Gott die Liebe von diesem Menschen wirklich für Sünde halten? Im Studium hatte ich dann einen guten Kumpel, der mit einem Mann zusammen war. Und ich habe mir die gleiche Frage gestellt. Es war ein langer Weg bis dahin, wo ich heute stehe. Heute sage ich: Ich glaube, dass Gott queere Beziehungen genauso segnet wie heterosexuelle Beziehungen. Und ich glaube, dass ich und viele andere in der Kirche Schuld auf sich geladen haben, weil sie verbreitet haben, dass queere Lebensformen Sünde sind. Das hat für sehr viel Leid gesorgt.
Geholfen, aus dieser Position rauszufinden, hat mir vor allem, dass mir queere Menschen begegnet sind. Dass ich sie als ernsthaft liebende Menschen und Christen erleben durfte. Ich bin dem homosexuellen Pfarrer dankbar dafür – der vielleicht sogar gespürt hat, was ich insgeheim über Homosexuelle gedacht habe. Und trotzdem das Gespräch mit mir nicht abgebrochen hat. Ich weiß gleichzeitig, dass das viel verlangt wäre: von denen, die Diskriminierung erfahren haben, zu erwarten, dass sie nachsichtig und liebevoll mit denen umgehen, die sie nicht so akzeptieren, wie sie sind. Das kann man nicht erwarten. Gerade deswegen bin ich dankbar, dass es doch einer getan hat. Was für ein Segen.
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