SWR3 Gedanken
Meine Freundin Regine wohnt in Berlin. Vor ein paar Tagen haben wir miteinander gezoomt und sie hat mir erzählt:
Sie war auf einer Beerdigung. Auf Wunsch der Verstorbenen und ihrer Familie ohne Kirche und Pfarrerin. Ungefähr 200 Leute waren gekommen. Alle, die wollten, konnten nach vorne gehen und eine Geschichte erzählen, die sie mit der Verstorbenen erlebt hatten, oder letzte Worte, einen letzten Dank sagen. Unter den Trauergästen war auch eine Muslimin. Auch sie trat nach vorne, sprach ein paar Worte und sagte dann, sie würde gerne ein Gebet in ihrer Sprache sprechen, und sie bat die Anwesenden, mit Amen zu antworten.
Meine Freundin Regine guckte mich durch den Zoombildschirm an. „Das ist das, was ich an Berlin so liebe, sagt sie, die Toleranz. Selbstverständlich haben alle auf das arabische Gebet mit Amen geantwortet. „Aber“, fragt Regine mich: “Was wäre gewesen, wenn ich vorgeschlagen hätte, das Vaterunser zu sprechen. Hätten dann auch alle mit Amen geantwortet?“
Mir ist ihre Frage nicht mehr aus dem Kopf gegangen: Warum fällt es Christinnen und Christen so schwer, öffentlich zu ihrem Glauben zu stehen?
Undenkbar, in der Mittagspause, in der Kantine zu sagen: Einen Moment bitte, ich möchte nur kurz Gott danken für das Essen.
Oder dass man den Nachbarn wünscht: Gottes Segen begleite euch auf eurem Urlaub!
Macht man nicht, weil man niemandem zu nahe treten möchte und seinen Glauben niemanden aufzwingen will. Aber ich glaube: Mir entgehen viele Situationen, in denen so ein öffentlicher Glaube anderen helfen könnte. Wie auf dieser Beerdigung.
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