SWR Kultur Wort zum Tag

05JUL2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich weiß noch genau, wie der Hörer der Telefonzelle bei uns an der Schule früher gerochen hat. Ich hab den ständig in der Hand gehabt, wenn ich früher schulfrei hatte und abgeholt werden musste. Aber Telefonzellen sind eine sterbende Spezies, und deshalb ziehen sie auch viel Aufmerksamkeit auf sich.

In Los Angeles sind die letzten verbliebenen öffentlichen Telefone nun Teil eines Kunstprojektes geworden. Es heißt „Goodbye-Line“, also „Auf Wiedersehen - Hotline“. Auf den öffentlichen Telefonen klebt ein Aufkleber: „Ja, dieses Telefon funktioniert, und unsere Zeit ist endlich. Also verabschiede dich von wem oder was auch immer, bevor es zu spät ist.“ Darunter steht die gratis Nummer der Goodbye Line, wo ein Anrufbeantworter alle Nachrichten aufnimmt.
Die Künstler Alexis Wood und Adam Trunell sind total bewegt, als sie die ersten Nachrichten abhören. Da verabschiedet sich eine Frau von ihrem viel zu früh verstorbenen Sohn und sagt ihm alles, was sie nie sagen konnte: „Ich hab Dir nie gesagt, was Dein Leben für mich bedeutet hat.“ Eine männliche Stimme sagt: „Ich möchte mich bei meiner Familie entschuldigen. Ich hoffe, dass Ihr alle in den Himmel kommt - und sorry, dass ich es nicht dorthin schaffen werde.“ Wahnsinn, solche Worte.
Es gibt die Frau, die den Familienesstisch vermisst, weil sie jetzt immer alleine essen muss. Andere verabschieden sich von ihrem Lebenstraum oder erzählen, dass eine bestimmte Entscheidung im Leben richtig war, wenn auch schmerzhaft. Es sind natürlich auch persönliche Abrechnungen dabei. Alles, was nicht mehr gesagt werden konnte und jetzt einen Platz braucht.

Die beiden Künstler veröffentlichen einzelne Nachrichten nach und nach in den Sozialen Netzwerken - natürlich nur, wenn die Absenderinnen der Nachricht ihr OK gegeben haben. Und sie setzen damit ein Zeichen für das, was wirklich wichtig ist. Die Künstlerin Alexis Wood sagt, dass das ihr Ort ist, an dem sie Menschen was Gutes tun kann. Und dadurch, dass sie einzelne Botschaften veröffentlichen, bringen sie Menschen zusammen.
Das finde ich so inspirierend an der Goodbye-Line. Ich denke immer wieder darüber nach, von wem oder was ich mich verabschieden würde. Und wie? Was würde ich sagen? Dahinter steckt ja die Frage: um was geht’s mir in meinem Leben? Welche Chancen hab ich verpasst? Wer ist mir wichtig? Was tut mir weh? Was bleibt?
Das sind die großen Fragen des Lebens. Dass die Antworten durch das Kunstprojekt jetzt so einen besonderen Platz bekommen, finde ich klasse. Und ich bin gespannt, ob ich die Nummer irgendwann mal wähle, denn die kann man von überall her anrufen.

 

Weitere Informationen:
The Goodbye Line

Goodbye Line: Abschiedsbotschaften aus Los Angeles, die einem das Herz zerreißen - SZ.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42462
weiterlesen...