SWR3 Gedanken
Slava ist ein richtiges Muskelpaket. Er stammt aus der Ukraine, hört gerne Heavy Metal und ist mein Physiotherapeut. Womit im ersten Moment niemand rechnet: Slava ist auch ein Pflanzenfreund. Zwischen all den Trainingsgeräten und Hanteln steht eine Zimmerpflanze. Slava hat mir erzählt, dass es ihr mal richtig schlecht ging: hängende Zweige und braune Blätter. Aber seit Slava mit ihr redet, sie immer wieder streichelt und sogar küsst, geht´s mit der Pflanze bergauf.
Dem Hibiskusbaum meiner Frau ging´s auch nicht gut, weil es ihm draußen zu kalt geworden ist. Ich dachte: Was bei Slava klappt, funktioniert vielleicht auch bei mir. Und deshalb habe ich jedes Mal, wenn ich an der Pflanze vorbeigekommen bin, kurz angehalten, ein paar Blätter gestreichelt und ihm gut zugeredet. Und siehe da, er hat sich erholt.
Slava ist überzeugt, dass Pflanzen seine Liebe spüren, dass sie es wahrnehmen, wenn er Kontakt mit ihnen aufnimmt. Mit dieser Meinung steht er nicht allein da. Die Forschung geht seit längerem davon aus, dass Pflanzen eine Art Nervensystem haben. Die Ureinwohner Amerikas gingen noch einen Schritt weiter: alles, was die Natur hervorbringt, habe eine Seele. Auch die Mystikerin Hildegard von Bingen war überzeugt, dass in Pflanzen, Tieren und sogar in Mineralien eine Art Seelenkraft steckt, die sie mit den Menschen verbindet. Und der Heilige Franz von Assisi hat Tiere und Pflanzen „Bruder und Schwester“ genannt.
Pflanzen gehören zur Schöpfung. Und deshalb ist es für mich selbstverständlich, dass ich sie ernst nehme und nicht verletze. Warum also nicht einen Baum umarmen, einen Hibiskus streicheln oder, wie Slava, eine Zimmerpflanze küssen.
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