SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

29JUN2025
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„Zum Mitnehmen!“ steht auf den Pappschildern am Straßenrand. Ich sehe sie inzwischen an vielen Orten. Es ist in Mode gekommen, Sachen, die man nicht mehr brauchen kann, einfach vor die Tür zu stellen. Das spart lästige Wege, und vielleicht findet sich ja im Vorbeigehen ein dankbarer Abnehmer für Bücher, Blumentöpfe und ausrangierte Gesellschaftsspiele. Ehrlich gesagt habe ich aber beim Blick in diese Kisten noch nie etwas entdeckt, das ich spontan mitnehmen wollte. Meistens sehe ich da nur das Zeug, das ich selber im Keller habe.

Oder ist es umgekehrt? Finde ich nur deshalb nichts Brauchbares, weil ich insgeheim denke: Was nichts kostet, kann auch nichts wert sein? Da höre ich dann die Stimme meiner längst verstorbenen Oma seufzen: „Umsonst ist der Tod. Und der kostet das Leben!“  Ja, ich gebe es zu: Ich bin misstrauisch bei Dingen, die nichts kosten. Ich vermute einen üblen Trick, der mich reinlegen will, suche nach dem Haken an der Sache, der mich ködern und in Wirklichkeit für teuer Geld etwas unterjubeln will. Also bin ich auf der Hut.  

Und bin damit nicht allein. Denn das Problem mit dem Misstrauen gegenüber kostenlosen Angeboten ist so alt wie die Menschheit. Und sogar Gott selbst hat damit zu kämpfen. Das beschreibt jedenfalls der Prophet Jesaja in der Bibel in einem Text, über den heute in vielen evangelischen Gottesdiensten gepredigt wird. Es ist eine originelle Szene. Jesaja stellt Gott wie einen orientalischen Marktschreier hinter einen Stand am Straßenrand und lässt ihn seine Waren feilbieten. Das hört sich dann so an: „Auf, ihr Durstigen, hier gibt es Wasser! Auch wer kein Geld hat, kann kommen. Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld! Wein und Milch – sie kosten nichts. Warum wollt ihr Geld ausgeben für Brot, das nicht wie Brot schmeckt? Warum wollt ihr euren mühsam verdienten Lohn für etwas vergeuden, das nicht satt macht? Hört doch auf mich, dann bekommt ihr Gutes zu essen und könnt köstliche Speisen genießen. Hört mich an und kommt zu mir! Hört, dann lebt ihr auf!“

Ja, auch Gott scheint seine liebe Not damit zu haben, seine Sachen an den Mann und an die Frau zu bringen. Weil alles umsonst ist, was er anzubieten hat. Kostenlos, und trotzdem unendlich kostbar.

„Umsonst ist der Tod. Und der kostet das Leben.“ Diesen Spruch habe ich früher oft gehört. Da steckte die bittere Lebenserfahrung einer ganzen Generation drin: Uns ist nichts, aber auch gar nichts geschenkt worden. Alles haben wir uns sauer verdienen müssen. Und auch wenn ich selbst in ganz anderen Zeiten aufgewachsen bin, ist mir ein Misstrauen geblieben gegenüber Dingen, die nichts kosten. Es könnte ja einen haken haben, wenn mir jemand einfach so etwas geben will.

Gott nimmt mir dieses Misstrauen aus der Hand. Er dreht den alten Spruch um. Er sagt: Umsonst ist nicht der Tod. Umsonst ist das Leben. Und ich habe es im Angebot. Ich schenke es dir. Kostenlos. Umsonst. Gratis. Und ich weiß nicht, wie ich es Dir beibringen soll, aber du kannst es dir einfach nehmen. Du musst es dir nicht verdienen. Es wird keine Gegenleistung erwartet.

Ich glaube, das ist ein richtiger evangelischer Sonntagsgedanke. Heute gilt eine andere Logik als an den Werktagen. Heute darf der Mensch ruhen und Gott schiebt Standdienst am Straßenrand. Dort hat er sich aufgebaut. Dort hat er sein Schild aufgestellt: „Zum Mitnehmen“. Und er legt sich mächtig ins Zeug für uns. Der Prophet Jesaja lässt ihn rufen:

„Auf, ihr Durstigen, hier gibt es Wasser! Auch wer kein Geld hat, kann kommen. Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld! Wein und Milch – sie kosten nichts. Warum wollt ihr Geld ausgeben für Brot, das nicht wie Brot schmeckt? Warum wollt ihr euren mühsam verdienten Lohn für etwas vergeuden, das nicht satt macht? Hört doch auf mich, dann bekommt ihr Gutes zu essen und könnt köstliche Speisen genießen. Hört mich an und kommt zu mir! Hört, dann lebt ihr auf!“

Ja, aufleben können. Das täte gut. Aufleben an heißen Sommertagen. Aufleben inmitten von Todesnachrichten. Ich sauge dieses Wort auf wie einen Schluck kühles Wasser.  Und ich setze darauf, dass Gott seinen Stand am Straßenrand noch den ganzen Sommer lang stehen lässt. Und mich versorgt mit allem, was nottut für Leib und Leben.

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