SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

22JUN2025
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Kaum hatten wir unsere Ferienwohnung verlassen, kam eine E-Mail in mein Postfach. Zu einer Umfrage wurde ich eingeladen. Ob und wie gut es mir und meiner Familie gefallen hat. Wie der Blick aus dem Fenster war, wie störend der Lärm auf der Straße davor und wie sauber die Wohnung bei der Ankunft. Das und noch viel mehr wurde ich gefragt. Die Einladung, ein Häkchen zu setzen, einen Smiley anzuklicken, oder eine Bewertung auf einer Skala von 0 bis 10 abzugeben beginnt immer so: Wir würden uns freuen, wenn Sie sich an unserer kurzen Umfrage beteiligen, denn unser Ziel ist es noch besser für sie zu werden.

Meinungsumfragen zu allem Möglichen und in allen Bereichen begegnen uns auf Schritt und Tritt. Nach dem Autocheck in der Werkstatt werde ich befragt, ob ich wiederkomme. Wie zufrieden ich mit dem Service war, oder ob ich Bekannten empfehlen würde ihr Auto auch in diese Werkstatt zur Reparatur zu bringen. Mit der berühmten Sonntagsfrage werden seit 1997 Sonntag für Sonntag 1000 repräsentativ ausgewählte Menschen nach der aktuellen politischen Stimmung in Deutschland befragt. Die zentrale Frage ist immer gleich: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?

Im katholischen Gottesdienst heute wird eine Geschichte vorgelesen in der auch Jesus einmal so eine Art Umfrage gestartet hat. Zunächst geht sie an die Jünger. Für wen halten die Leute mich? will er von ihnen wissen. Jesus scheint daran interessiert zu sein, welchen Eindruck die Menschen von ihm haben. Was sie von ihm halten. Was die Anderen über ihn denken. Die Antworten seiner engsten Freunde zeigen zunächst einmal, wie unterschiedlich er wahrgenommen wird. Jeder und jede hatte ein anderes Bild von ihm. Die einen vergleichen ihn mit Johannes dem Täufer, der so wie er durch die Lande zog. Seine Botschaft war aber so ganz anders. Johannes drohte den Leuten mit Gericht und Unheil. Wieder andere meinen, er trete so auf wie der Prophet Elija. Der war radikal. Denn Elija und all die anderen Propheten bekämpften wortgewaltig und angsteinflößend Götzendienst und soziale Ungerechtigkeit.

Doch die Meinung Fremder über ihn, die genügte Jesus nicht. Seine zweite Frage, hat es deshalb in sich: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Wer bin ich für euch ganz persönlich? Darum geht es ihm. Ganz persönlich will er das wissen, von denen die ihm nachfolgen. Da gibt es kein ausweichen mehr. Kein Verstecken vor der Meinung anderer. Selbst gilt es jetzt Farbe zu bekennen.

 

Die Antwort des Petrus lässt nicht lange auf sich warten. Fast wie eine Liebeserklärung, aber auch wie auswendig gelernt sagt er:  „Du bist der Messias. Du bist mein Retter, auf den ich so sehr gewartet habe.“ Aber dieser Jesus zeigt sich so ganz anders als all die Erwartungen, die die Menschen damals mit einem Messias verbinden. Er proklamiert nicht den politischen Umsturz mit Macht und Gewalt. Die Vertreibung der Römer, die das Land besetzt halten ist nicht sein Ziel. Gott und den Nächsten lieben, wie sich selbst. Das ist sein Herzensanliegen. Es kommt nicht gut an bei den Frommen seiner Zeit. Und so spricht er nach dem Liebesbekenntnis des Petrus von seinem Leidensweg und nahen Tod am Kreuz. Schwere Kost für seine  Jünger.

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch war fasziniert von biblischen Texten und von der Forderung, sich kein Bild von Gott zu machen. So dachte er darüber nach, was es eigentlich bedeutet, sich ein Bild von anderen Menschen zu machen. Am ausführlichsten kam er in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1946 mit der Überschrift „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ darauf zurück:

Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. … Die Liebe befreit aus jeglichem Bild. Das ist das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden; weil wir sie lieben, solang wir sie lieben. Unsere Meinung, dass wir andere Menschen kennen, ist das Ende der Liebe.

Das mussten auch Jesu Jüngerinnen und Jünger lernen. Ihr Messias war so ganz anders. Ging einen ganz anderen Weg als von ihnen erwartet. Dem Weg der Liebe blieb er treu. Bis ans Kreuz. Verhaftet wurde er, gewehrt hat er sich nicht. Und seinen Gott suchte er selbst noch in der äußersten Not.

Und eigentlich gilt es bis heute. Gott übersteigt mein Denken. Erspart mir nicht Krankheit und Leid. Lässt das Unbegreifliche zu. Unsere Meinung, dass wir andere Menschen kennen, ist das Ende der Liebe, sagt der Schrifsteller Max Frisch über die Liebe zwischen uns Menschen. Das gilt genauso auch für Gott: Wenn ich glaube Gott zu kennen, dann wäre es das Ende meines Glaubens.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42394
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