SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Ich bin ja evangelischer Pfarrer. Aber trotzdem gern auch zu Gast bei einer katholischen Messe, bei meinen katholischen Brüdern und Schwestern. Das letzte Mal am Weißen Sonntag, das ist der Sonntag nach Ostern: In den ersten beiden Reihen saßen dreißig Kinder bereit für ihre Erstkommunion. Darunter mein Neffe. Tief habe ich den Duft des Weihrauchs inhaliert. Ich mag das. Als evangelischer Pfarrer einen katholischen Gottesdienst zu besuchen, ist immer ein Erlebnis für die Sinne. Ich anerkenne: Die katholischen Gottesdienste haben ästhetisch einfach was drauf. Unsere klassisch evangelischen Gottesdienste kommen doch eher nüchtern daher.
Gut, das ist jetzt vielleicht ein wenig übertrieben. Wenn bei uns ein Chor singt oder eine Bachkantate aufgeführt wird, dann ist das Schönheit für die Ohren. Aber der römisch-katholische Mix aus Geruch, Klang, Aufstehen, Hinknien – das nimmt die Menschen ganz anders mit. Und dann kommt etwas, was ich sehr liebe: die Wandelkommunion.
D.h. es gibt – wie wir Evangelischen sagen – Abendmahl. Dabei strömen aus allen Bänken die Menschen zu drei oder vier Stationen in der Kirche. Dort bekommen sie dann den Leib Christi ausgeteilt. Also ein Stück Brot bzw. eine Oblate – aber, wissen Sie: Ich möchte hier nicht über theologische Spitzfindigkeiten sprechen. Was mich einfach total anspricht: diese Dynamik mitten im Gottesdienst. Alle gehen vor, kehren kauend zurück oder stecken die Oblate auf dem Rückweg in den Mund. Ich finde das toll. Mir gefällt das als Symbol: Mit „Gott ganz nah“ herumlaufen.
Heute, an Fronleichnam, faszinieren mich ganz ähnlich die Prozessionen. Schon als Gemeindepfarrer in Rheinhessen habe ich an Fronleichnam immer die Fenster geöffnet, um den Zug durch den Ort zu betrachten. Die katholische Gemeinde trägt den Leib Christi, ein Stück Brot des Lebens in einem prächtigen Gefäß – der sogenannten Monstranz – durch ihren Ort. Zum Segen. Sie laufen herum mit „Gott ganz nah“. Ganz offensichtlich bringt die katholische Kirche ihre Gläubigen in Bewegung.
Auf der anderen Seite ist das Gras ja immer grüner. Und vielleicht denkt sich jetzt eine katholische Person: Mir gefällt es bei den Evangelischen, wenn Abendmahl im Kreis gefeiert wird. Wenn alle vor Gott stehen und nicht einfach weiterlaufen. Für mich ist das evangelische Abendmahl auch schön – keine Frage. Das ist immer wie eine Insel im Ozean des Lebens. Da lass ich mir sagen: Du bist gut, wie Du bist.
Aber mir gefällt eben auch das katholische Bild: Man ist als Mensch eben Teil des Lebens; des Alltags. Und in diesem gilt es, sich zu regen und weiterzugehen. In einem Brief aus dem neuen Testament heißt es: „Lasst uns laufen in Geduld mit Blick auf Jesus“ (Hebr. 12, 1c.2a). Und ich finde in Fronleichnam da einfach eine sehr schöne praktische Umsetzung.
Ich finde: Prozessionen an Fronleichnam sollten als Symbol gewürdigt werden. Da geht eine Gruppe Menschen durch die Straßen der Dörfer und Städte und zeigt: Das Leben kann beschwerlich sein. Aber wir haben den Blick zum Himmel gerichtet. Geduldig gehen wir weiter.
Das zeugt doch wohl für Widerstandskraft, oder: Resilienz – wie man heute sagt. Also für die Fähigkeit, die eigene Realität als Realität zu akzeptieren und unter den Bedingungen weiterzugehen.
Ich habe lange gebraucht, um mir diese Perspektive auf Fronleichnam zu eröffnen. In meinen ersten Jahren als evangelischer Pfarrer haben mir die älteren Rheinhessinnen erzählt: Wir haben früher extra immer die Wäsche an Fronleichnam gewaschen und rausgehängt, um die Katholiken zu ärgern. Das war ja deren höchster Feiertag und da haben wir gezeigt: so ein Quark, dass Ihr da mit dem Leib Christi rumlauft.
Dahinter stecken zum Teil fünfhundert Jahre alte Vorurteile. Aber eben auch unterschiedliche Glaubensstile. Ich für meinen Teil gehe nicht bei den Prozessionen mit „Gott ganz nah“ mit. Ich bin einfach in der evangelischen Kirche daheim. Aber ich freue mich an den katholischen Geschwistern, wenn sie zeigen: Wir ziehen mit Gott durchs Leben. Und tragen ihn buchstäblich zum Segen für die Welt mit uns. Darüber, finde ich, gibt es nichts zu spotten und zu ärgern.
Ich als evangelischer Christ habe für mich einen Zugang zu Fronleichnam gefunden. Und das ist das Bild: geduldig weitergehen. Das kann jeder Mensch nachvollziehen. Und sich fragen: Bin ich geduldig? Das kann ich natürlich für Sie nicht beantworten. Aber ich gebe Ihnen noch eine kleine Info: Geduld kommt von einem Wort, das ‚aushalten‘ heißt.
Fronleichnam ist in diesem Sinne ein Geduldsfest. Weil die Prozession – so sehe ich es – eben einen biblischen Vers ganz real werden lässt: Lasst uns laufen in Geduld mit Blick auf Jesus. Fronleichnam als Fest feiert, dass bei diesem Lauf Gott mitgeht. Der Mensch ist nicht allein in der Welt. Oder weniger christlich formuliert: Lasst uns aushalten, was auszuhalten ist und hoffnungsvoll weitermachen.
Mir ist dabei schon klar, dass es Realitäten gibt, die ausgehalten werden müssen, ohne Hoffnungsperspektive. Auch ich habe Familienmitglieder an Krankheiten verloren. In solchen Momenten kommen Gottvertrauen und christliche Feste natürlich an ihre Grenzen. Aber gerade auf der Grenze ist für mich die Botschaft von Fronleichnam eine echte Kraftstation: Gott geht mit.
Ihnen allen einen schönen Feiertag und ein gerüttelt Maß Geduld.
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