SWR Kultur Lied zum Sonntag

15JUN2025
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Musik 1: Franz Schubert: „Du holde Kunst“; Intro mit Angela Hewitt, Klavier, M0730856

 

Mir ist ein rotes Heft mit leichten Musikstücken für Klavier in die Hände gekommen. Hochformatig, ziemlich abgegriffen. „Klavier-Fibel“ steht darüber. Auf der ersten Seite handschriftlich „Mai 1975“, das Datum meiner ersten Klavierstunde. Genau 50 Jahre ist das nun her. Mein Talent war, sagen wir mal, überschaubar. Leichte Stücke von Franz Schubert konnte ich immerhin spielen. Vor allem aber empfinde ich oft genau das, was Franz Schubert beim heutigen Lied zum Sonntag komponiert hat. Es heißt „Du holde Kunst“ und ist nichts anderes als eine Liebeserklärung an die Musik.

 

Musik 2:Strophe 1 mit Christoph Prégardien (Gesang) und Andreas Frese (Klavier), M0577505

 

Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden,

Wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt,

Hast du mein Herz zu warmer Lieb entzunden,

Hast mich in eine bessre Welt entrückt,

In eine bessre Welt entrückt!

 

Franz Schubert hat es wohl erlebt, dass Musik das Leben nicht nur bereichert, sondern uns, wenn wir singen und spielen oder wenn wir auf die Klänge hören, „in eine bessre Welt“ versetzt, ja „entrückt“. Hm, denke ich da, mit meiner Klavier-Fibel in der Hand. Da gab es ja auch anstrengende Stunden am Klavier, wenn die Finger nicht so liefen wie gewollt, und schließlich habe ich eingesehen, dass mein Talent zum Reden über Musik – wie heute beim „Lied zum Sonntag“ – vielleicht größer ist, als mein Ehrgeiz, professionell in die Tasten zu greifen. Und es muss ja auch jemand zuhören, wenn die großen Musiker singen und spielen.

 

Musik 3: Intermezzo mit dem Signum Quartett, M0705993

 

Die Liedzeile mit der „besseren Welt“ beschäftigt mich oft. Und ich erlebe das! Mit Musik erfahre ich mich selbst: wenn ich froh bin oder traurig oder voller Sehnsucht. Beim Chorsingen erlebe ich ganz intensiv die Gemeinschaft vieler, die singen. Und manchmal erlebe ich musikalische Glücksmomente und denke, die sind nicht von Menschen gemacht, sondern von Gott. Hören wir dazu noch die zweite Strophe von Franz Schubert, in der die Musik zum „Schlüssel“ wird. Gemeint ist nicht der Notenschlüssel. Es geht darum, dass Musik sogar den Himmel aufschließt.

 

Musik 4: Strophe 2 mit Christoph Prégardien (Gesang) und Andreas Frese (Klavier) M0577505

 

Oft hat ein Seufzer, deiner Harf entflossen,

Ein süßer, heiliger Akkord von dir

Den Himmel bessrer Zeiten mir erschlossen,

Du holde Kunst, ich danke dir dafür,

Du holde Kunst, ich danke dir!

 

„… du holde Kunst, ich danke dir“ – da kann ich mitgehen, weil die Musik mir schon vieles geschenkt hat seit den ersten Klavierstunden. Sie ist ein Resonanzraum für viele Erlebnisse, für Trauer wie für Freude. Franz Schubert betet im Lied „Du holde Kunst“ sogar zur Musik. Ich bete eher mit Musik, wenn ich eine Kantate von Bach höre oder die Lieder im Gottesdienst mitsinge. Die rote „Klavier-Fibel“, die ich jetzt wieder zur Seite lege, sie hat mein Leben eine Zeitlang begleitet. Und vor allem hat sie mich dauerhaft bereichert. Denn sie hat mir eine Sprache erschlossen, die Sprache der Musik.

 

Musik 5: Angela Hewitt, Klavier - M0730856

Textdichter und Komponist:

T: Franz von Schober

M: Franz Schubert

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