SWR1 Begegnungen

Martina Steinbrecher trifft den Offenburger Kirchenmusiker Traugott Fünfgeld
„Inmitten von Leben“ heißt sein neues Chorstück. Ein Auftragswerk zum Albert-Schweitzer-Gedenkjahr, aber auch eine ganz persönliche Hommage an den berühmten Arzt, Theologen und Musiker. Am 4. Juli wird es im Rahmen des badischen Chorfests uraufgeführt. Zwei Jahre Arbeit hat der Komponist in sein Werk gesteckt:
Ich habe manchmal das Gefühl, es ist, wie wenn man einen Krimi schreibt. Man muss auf Seite 50 wissen, was auf Seite zwei war. Ich muss wissen, welcher Bläser wie lange schon gespielt hat, wie hoch er gespielt hat, um mit seiner Kraft umzugehen; hat es auch eine Entwicklung, dass man nicht am Anfang schon alles Pulver verschießt, gibt’s einen Fluss im Stück, gibt es Kontraste, dass es auch beim Zuhören wirkt? Es ist so, wie wenn man ein Gedicht schreibt: Man hat eine Idee, und das Gute ist, dadurch dass ich einfach viel Orgel spiele und viel Klavier spiele, höre ich die Töne wirklich eins zu eins im Kopf und kann dann direkt in den Computer reinschreiben.
Ich habe mich bei diesem Stück zum Mitsingen im sogenannten Massenchor angemeldet. Gerade mal drei Proben stehen auf dem Plan, dann sollen die vierstimmigen Chorsätze aufführungsreif sein. Ganz schön ambitioniert! Was hat man dem jungen Mozart einmal vorgeworfen? Sein Singspiel hätte „vielleicht a bissl viele Noten“. So kommt es mir auch vor beim Blättern im umfangreichen Chorheft. Aber vielleicht habe ich auch nur „a bissl zu wenig geübt!“ Der Komponist gibt sich zuversichtlich:
Ich habe den Anspruch - der ist zwar hoch gesetzt - aber ich versuche, das immer so zu halten, dass jeder, der eine Chorprobe bei mir besucht die Chance hat, besser rauszukommen als er reingekommen ist. Und wenn man miteinander musiziert und singt und atmet, ist eine große Chance dabei.
20 Teile umfasst die Komposition; darunter auch fünf Sprechtexte, die das Leben von Albert Schweitzer von seiner Kindheit im Elsass bis zur Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 1953 nachzeichnen.
Es geht auch immer um die Frage: Ist Albert Schweitzer ein Vorbild für uns? Ich glaube, wir müssen uns im Leben an vielen Wendepunkten, entscheiden für Dinge. Wir müssen sagen, wie wir uns ausrichten, wofür wir stehen. Und da kann Albert Schweitzer ein Beispiel dafür sein.
In der Familie von Traugott Fünfgeld saß Albert Schweitzer als unsichtbarer Gast quasi immer mit am Küchentisch. Denn Großvater Fünfgeld hat Anfang des 20. Jahrhunderts bei Albert Schweitzer in Straßburg Theologie studiert.
Bei vielen Dingen, wenn wir in der Natur waren, dass wir, wie Albert Schweitzer in seinen Lebenserinnerungen schreibt, Regenwürmer von der Straße in den Dreck gesetzt haben und einfach, Ehrfurcht vor dem Leben: Dass wirklich jedes Tier, jeder Baum seine Berechtigung hat. Und natürlich auch jeder Mensch zählt.
Die Ehrfurcht vor dem Leben: einer der großen Begriffe, die Albert Schweitzer geprägt hat. Schon im Eingangschor klingen solche Themen an. Thomas Weiß, ein badischer Pfarrer und Lyriker, hat sie für das Werk in Reime und Strophen gebracht. Und ja, schon im Verlauf der ersten Chorprobe verdichten sich die vielen Töne zu einem hartnäckigen Ohrwurm – hier aus dem letzten Chorsatz des Werks: „Töne des Friedens, Stimmen und Schall, Friedenstöne: Klingt überall! Dass Menschen sich finden, dass Menschen sich sehn, in Frieden verbinden, einander verstehn …“
Für seine Arbeit hat Traugott Fünfgeld sich durch Biographien, Predigten und Briefe von Albert Schweitzer gelesen. Und war immer wieder aufs Neue überrascht von den klaren Gedanken und Aussagen. Aber wie kann jetzt ein Singspiel dazu beitragen, dass die Welt anders aussieht? Macht Musik Frieden und Völkerverständigung möglich, führt sie am Ende zu mehr Ehrfurcht vor dem Leben?
Ich kann mich entscheiden, eine Haltung einzunehmen und kann hoffen, dass andere Menschen das auch sehen und dann diesen Weg mitgehen. Da habe ich als Kirchenmusiker die Gelegenheit, Stücke zu schreiben. Das ist die Chance, die ich habe. Ich bin nicht gut im Auf-die-Straße-Gehen und irgendwie meine Arme kraftvoll irgendjemand anders gegenüber zu halten.
Was nicht heißt, dass Traugott Fünfgeld das für sich ausschließen würde, wenn’s drauf ankommt. Aber zuerst wird er seine Arme nun bald nutzen, um zehn Blechbläser, ein Klavier, ein Cello, Pauken und Vibraphon, zwei Solisten und Hunderte von Sängerinnen und Sängern bei der Uraufführung zu dirigieren. Das alles unter freiem Himmel. Und vielleicht ist es ja genau das, was Musik schon immer sehr gut vermocht hat: Menschen zusammenzubringen und ihnen die Erfahrung zu vermitteln, dass aus vielen unterschiedlichen Stimmen am Ende ein großes Gesamtkunstwerk entsteht.
Ich sehe mich da schon in der Tradition von ganz vielen Musikern, die ganz bewusst völkerverständigend arbeiten, europaweit, weltweit zu denken und nicht dem Drängen nachzugeben, dass man sich selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern dass wir mit anderen Menschen agieren müssen, auch in anderen Ländern.
Zunächst aber bleiben wir im Land. Im Ländle. Und bringen die Botschaft von der Ehrfurcht vor dem Leben zum Klingen. Inzwischen singe ich die meisten Stücke mühelos vor mich hin: Chortöne auf Spuren Albert Schweitzers. Von und mit Traugott Fünfgeld. Am 4. Juli in Emmendingen.
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