SWR1 Begegnungen

08JUN2025
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Stephanie Hecke Foto: Tobias Bugala

Felix Weise trifft Stephanie Hecke

Ein Mensch stirbt – und niemand ist da. Keine Familie, keine Freunde. Niemand, der sich verabschieden will. Stille. Einsamkeit. Spürbar. Pfarrerin Stephanie Hecke hat solche „einsamen“ Beerdigungen begleitet. Als sie Freunden davon erzählt, ist schnell klar: Das Thema „Einsamkeit“ trifft ins Herz. Es bewegt viele Menschen. Stephanie Hecke beschäftigt sich immer intensiver damit und hat schließlich ein Buch über die Einsamkeit geschrieben: „Die stille Gefährtin“.

Der Begriff der Gefährtin ist erst mal ein Paradox, weil genau das, was man sich ja wünscht, wenn man einsam ist, dass man von irgendjemand begleitet wird, dass man ein Gefährte oder eine Gefährtin hat. Genau das trifft ja nicht zu in der Einsamkeit. […] Und ich habe mich da ganz bewusst dazu entschieden, die Einsamkeit als Person, also als Gefährtin zu beschreiben, um eben genau das zum Ausdruck zu bringen. Also dieser Wunsch, eigentlich ein ganz positiver Wunsch, steckt hinter der Einsamkeit. Wir sind angewiesen auf Beziehungen und jeder Mensch hat dieses Bedürfnis danach. Und gleichzeitig hat die Gefährtin aber auch den Charakter, dass viele Menschen von ihrer Einsamkeit wie begleitet werden.

Erschreckend viele Menschen fühlen sich einsam – zumindest lässt sich das Vermuten, wenn man die Statistiken anschaut. Trotzdem wird im Freundeskreis oder der Familie nicht viel darüber geredet. Auch ein Grund, warum Stephanie Heckes Buch den Titel „Die Stille Gefährtin“ trägt.

Und die Stille? Die kommt daher, dass ich in den vielen Menschen, denen ich begegnet bin, in meinem Buch wahrgenommen habe, dass Einsamkeit Menschen verstummen lässt. Also Menschen werden unsichtbar. Sie ziehen sich zurück, physisch, aber auch vor allem in emotionale Weise.

Einsamkeit ist etwas Stilles. Und wird von der Umgebung oft nicht bemerkt. Das wird im Gespräch mit Stephanie Hecke deutlich. Vor allem aber verstehe ich, dass es nicht unbedingt, um das allein sein geht. Einsamkeit kommt auch vor, obwohl Menschen ein Netz an sozialen Beziehungen haben.  

Einsamkeit ist nämlich was ganz anderes, als allein zu sein, was man auf den ersten Blick so denkt. Ich gehe davon aus, Einsamkeit entsteht immer dann, wenn wir uns soziale Kontakte, Beziehungen wünschen in einer tiefen Form und die aber nicht bekommen.

Was ich tun kann gegen Einsamkeit? Gegen meine eigene oder die meines Gegenübers? Es fängt wohl damit an, von der „stillen Gefährtin“ an meiner Seite zu sprechen. Worte für sie zu finden:

Also zuerst einmal ist es ja gar nicht so leicht, das Gefühl von Einsamkeit auszudrücken. Wir können viel eher sagen, ich bin traurig, ich bin fröhlich. Ich bin einsam - das sind wir nicht gewohnt zu sagen. Es wird eher tabuisiert. Ein Grund dafür ist sicher der, dass damit so ein Manko einhergeht. Dass man sich also fragt ja, was ist denn an mir? Oder was fehlt mir denn?

Menschen aus der Einsamkeit zu holen, bedeutet also auch: Eine Lösung zu finden, mit der Scham, die Einsamkeit auslöst, umzugehen. Ein erster Schritt:

Mir klarzumachen, dass ich damit nicht allein bin. Das ist vor allem, wenn es eine vorübergehende Phase ist, total normal ist, weil ich in meinem Leben ja auch mal traurig bin und auch mal frustriert bin und auch dann glücklich bin. Und dass Einsamkeit ein ganz normales Gefühl in dieser Gefühlspalette ist. Das erstmal zu akzeptieren, das hilft mir.

Und wenn es nicht ein vorübergehendes Gefühl ist, hilft es, wenn da jemand ist, der von außen nachfragt. Aber wer, wenn man doch einsam ist?

Es gibt andere europäische Länder, die Fragen über den Hausarzt standardmäßig ab, ob sie sich einsam fühlen, also haben so eine mentale Dimension auch bei der Gesundheitsversorgung. Da überlegt man, ob so was eine Möglichkeit wäre, um das mehr abzufragen. Weil bis jetzt sind alle Möglichkeiten, um Einsamkeit zu überwinden, basieren darauf, dass die Menschen von sich aus sagen Ich bin einsam und ich wünsche mir Unterstützung von dir.

Noch schwieriger wird es, wenn das Geld nicht reicht für den Mitgliedsbeitrag im Sportverein oder regelmäßige Besuche in der Kneipe. Und für Menschen ohne Arbeitsplatz. Da  ist eine weitere Möglichkeit, mit Einsamkeit umzugehen eigentlich naheliegend:

Und ein ganz großer Punkt, der vielleicht überraschend ist, ist Arbeit. Also Menschen in Arbeit zu bringen, weil sie dort die Möglichkeit haben, soziale Kontakte zu knüpfen.

Eigentlich logisch: Mehr soziale Kontakte bedeutet mehr Chancen aus der Einsamkeit zu entkommen. Als Pfarrerin ist für Stephanie Hecke auch die Kirche ein Ort, wo Menschen ihrer Einsamkeit entkommen können. Worin liegt gerade das Potenzial der Kirchen, um Einsamkeit zu begegnen?

Zum einen inhaltlich. Die Kirche hat eine Botschaft, die sagt, wir glauben an einen Gott, der jeden Einzelnen geschaffen hat, der jeden Einzelnen sieht und liebt und mit jedem Einzelnen eine Beziehung führen möchte. Also das ist das optimale Gegenmittel gegen Einsamkeit. Das zweite ist, die Kirche ist in ihren Handlungsfeldern Kirche und Diakonie überall an der Schnittstelle, genau an den Menschen, die auch in der Gefahr stehen, einsam zu werden. Egal, ob das Pflegedienste sind, Nachbarschaftshilfe, Schulsozialarbeit.

Der christliche Glaube kann helfen, Zeiten der Einsamkeit zu überstehen:

Auf jeden Fall ist der Glaube an Gott und auch die Vorstellung der heiligen Geisteskraft. Also eine Vorstellung, die ganz viel Kraft geben kann in Phasen von Einsamkeit. Weil man eben ganz unabhängig von der Situation, in der man gerade lebt, eine Ansprechperson hat, also eine innere Heimat findet. In einem vertrauten Gebet, in einem Lied, in einem Gefühl, das einen überkommt.

 

Zum Buch „Die Stille Gefährtin“ von Stephanie Hecke: https://www.adeo-verlag.de/die-stille-gefaehrtin.html
Stephanie Hecke auf Instagram: https://www.instagram.com/stephanie_hecke/

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42333
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