SWR Kultur Lied zum Sonntag

Pfingsten in Jerusalem: Die internationalen Festgäste aus fremden Ländern staunen nicht schlecht. Auf einem der belebten Plätze werden flammende Reden gehalten. Alle hören gebannt zu, und an den Reaktionen ringsum stellen sie fest: „Wir hören sie in unserer eigenen Sprache reden!“ So erzählt die Bibel in der Pfingstgeschichte. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu, von Haus aus keiner Fremdsprache mächtig, erzählen so voller Begeisterung von Gottes Taten, dass alle verstehen, worum es geht.
Das Pfingstwunder ist ein Verständigungswunder. Der Heilige Geist, Gottes Geist, bewirkt, dass Menschen sich über Grenzen und Sprachbarrieren hinweg verstehen. Ja mehr noch, dass sie spüren: Wir gehören zusammen.
Musik
Unser Lied zum Sonntag heute ist deshalb für mich das perfekte Pfingstlied. Auch wenn es eigentlich nicht als Pfingstlied geschrieben wurde. Aber es spricht genau davon: Dass Menschen über Grenzen hinweg verbunden sind: In Christus gilt nicht Ost noch West.
Musik
Nach einem Gottesdienst, in dem wir das Lied gesungen haben, ist eine alte Frau ganz bewegt auf mich zugekommen. Sie hat mir erzählt, wo sie dieses Lied kennengelernt hat: Nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg war sie eine zeitlang in England, als ganz junge Frau aus Deutschland. Die Erinnerung an den Krieg, an die Verbrechen der Deutschen in der Nazizeit – all das war noch frisch wie eine offene Wunde. Aber sie hat dort in ihrer englischen Gemeinde Gottesdienst gefeiert – und zusammen mit englischen Christen gesungen: In Christ there is no east or west. „Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, was das für mich damals bedeutet hat!“ hat sie mir erzählt.
Musik
Der Text des Liedes ist anlässlich der Ausstellung einer christlichen Missionsgesellschaft in London im Jahr 1908 entstanden. In solchen Ausstellungen wurden Kultur und Menschen in den sogenannten „Missionsgebieten“ des globalen Südens dargestellt – aus heutiger Sicht oft abwertend. Aus dem Lied aber spricht ein anderer Geist. Ein echtes Interesse an Gemeinschaft und Zusammenarbeit auf Augenhöhe höre ich da heraus: Egal, welche Hautfarbe du hast, aus welcher Kultur du kommst – in Christus gehören wir zu einer großen Familie. Eine radikale Botschaft der Bibel, die auch heute noch darauf wartet, wirklich gelebt zu werden.
In Christ there is no east… Version Mavis Staples
Im Laufe des 20. Jahrhundert wurde der Text auch in der afroamerikanischen Community in den USA adaptiert – hier in einer Version der Blues- und Soulsängerin Mavis Staples, die selbst in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung engagiert war:
In Christ there is no east… Version Mavis Staples
In Christus ist nicht Ost noch West – wie gut wäre es, das sagen zu können! Auch nur im eigenen Land oder in der eigenen Stadt. „Reicht euch die Hände – habt Vertrauen“, heißt es im Lied. Und: „Redet miteinander“, ergänze ich. So fängt es an. So wirkt der Pfingstgeist.
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Hinweis: Die Aufnahme des Liedes stammt aus dem Wochenliederpodcast der Arbeitsstelle Kirchenmusik Sachsen. Der Podcast bietet interessante Informationen zu Inhalt, Geschichte und Musik vieler bekannter Kirchenlieder.
Er ist im Internet zu finden unter: https://kirchenmusik-sachsen.de/wochenliederpodcast/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42332