SWR1 3vor8
Vor einigen Jahren habe ich eine Freundin in England besucht. Sie ist damals dort ausgebildet worden zur Priesterin der anglikanischen Kirche, der Kirche von England. Ich habe einige Zeit mit ihr im Ausbildungsseminar gelebt und war dort auch immer eingeladen zu den Hausandachten. Eines Abends gab es eine besondere Andacht. Die Kapelle war an diesem Abend nur mit Kerzen beleuchtet und es herrschte dort eine tiefe Stille. Vorne auf dem Altar stand ein goldenes Gefäß mit einem Mittelstück aus Glas. Und darin war deutlich eine Hostie zu sehen, ein kleines Stück Brot. Leise hat meine Freundin mir erklärt, dass wir nun alle miteinander in stillem Gebet für eine Stunde vor diesem geweihten Stück Brot verweilen. Als ich sie fragend anschaute, sagte sie, dass Jesus Christus in diesem Stück Brot, tatsächlich anwesend ist. So hätten wir alle die Möglichkeit, jetzt besonders vertraut mit ihm zu sprechen.
Jesus Christus wirklich anwesend in diesem Stück Brot? Das soll mir Jesus nahe bringen, obwohl ich es nicht mal essen, sondern bloß ansehen kann? Damit habe ich nichts anfangen können.
Und heute, an Fronleichnam, geht es mir immer noch so. Denn an Fronleichnam geht es um genau das: Nämlich, dass Jesus Christus in einer Hostie, einem kleinen runden Stück Brot, wirklich anwesend ist. Und deshalb wird dieses kleine Stück Brot, überdacht mit einem prunkvollen Baldachin, durch die Straßen getragen. Denn das bedeutet der Name Fronleichnam: Leib des Herrn.
Ich habe mit meinem katholischen Kollegen in Ingelheim, Pfarrer Feuerstein, über Fronleichnam gesprochen und ihn gefragt, was ihm wichtig ist an diesem Tag. Er hat geantwortet: Als Priester ist es mir wichtig, dass wir an diesem Tag, das was uns am „Allerheiligsten“ ist, nämlich Jesus im Brot, nach draußen tragen; dahin, wo die Menschen leben. Und ganz besonders nehmen wir diejenigen mit in unsere Gebete hinein, die am Prozessionsweg wohnen und auch die Anliegen, die uns im Alltag – also „draußen“ begegnen.
Mir gefällt seine Antwort und ich verstehe besser, dass Fronleichnam ein besonderer Weg ist, um Christus nahe zu sein. Auch, wenn es nicht mein Weg ist, glaube ich: Jesus Christus ist nicht hoch und fern von uns. Er lebt mitten unter uns und interessiert sich für uns. Und das ist so wertvoll, dass dafür die schönsten Gewänder herausgeholt und die Häuser festlich geschmückt werden. Diesen Gast brauchen wir wirklich so dringend wie unser täglich Brot.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42319