SWR Kultur Wort zum Tag

10JUN2025
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„Raus aus dem Bett, und mit gespitztem Blei das wabernde Nichts lichten“. Diesen Appell an sich selbst hat Günter Grass einmal notiert. Und seinen Satz betitelt mit „Nach endloser Qual“.

Ich stelle mir vor, dass der Schriftsteller schlecht geschlafen hat. Alles Mögliche ist ihm in der Nacht durch den Kopf gegangen. Vieles hat ihn gequält, was im Dunkel der Nacht bedrohlicher aussieht als am Morgen.

Darum begrüßt er diesen Moment: „Raus aus dem Bett, und mit gespitztem Blei das wabernde Nichts lichten“. Für Grass als Schriftsteller ist das eine passende Methode, um Klarheit in seine Gedanken zu bringen: das Schreibwerkzeug zur Hand zu nehmen und aufzuschreiben, was ihn beschäftigt.

Ich kenne das auch: Schlecht geschlafen. Schlecht geträumt. Der neue Tag sieht wenig verheißungsvoll aus. Und auch mir helfen Worte, um das wabernde Nichts zu lichten. Ich schreibe sie nicht auf, ich lese sie in der Bibel. So ein Wort kann meinen Horizont weiten und meinen Alltag heller machen. Und nimmt mir dann die Sorge vor dem, was alles kommen könnte.

Denn auch die Bibel beginnt ja mit dem Gedanken, dass Gott ganz am Anfang Licht und Ordnung bringt in „das wabernde Nichts“. Auf den ersten Seiten der Schöpfungsgeschichte lese ich, wie in eine ungeordnete und chaotische Welt Licht, Klarheit und Schönheit kommen.

Das ist, was der Glaube kann: dem Leben Klarheit und Struktur geben. Viele Menschen beginnen darum den Tag mit einer stillen Zeit, die freigehalten ist von allem, was später kommen wird.

Der Theologe Bonhoeffer hat geschrieben: „Jeder Morgen ist ein neuer Anfang unseres Lebens. Mitten in einem Leben mit Gott täglich ein neues Leben mit ihm beginnen zu dürfen, das ist das Geschenk, das Gott mit jedem neuen Morgen macht.“

Mit dieser Gewissheit will ich versuchen, dem wabernden Nichts entgegenzutreten. Will unterscheiden zwischen dem, was lebensdienlich ist und dem, was mir und anderen schaden kann. Will auch dankbar zurückschauen auf das, was gestern gelungen ist und was gut war. Und daraus die Zuversicht schöpfen, dass mir Gott auch für den heutigen Tag das Quantum an Kraft gibt, das ich für den neuen Tag brauche.

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