Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Massa, Sidra und Malak sind die Namen von drei Schülerinnen. Ich bin seit diesem Schuljahr ihre Französisch Lehrerin. Es hat gedauert, bis ich mir ihre Namen merken konnte. Zumal in der Klasse mehr als die Hälfte der Schüler Namen haben, die ich noch nie gehört habe. Die Eltern von Massa, Sidra und Malak sind vor zehn Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen. Die drei Mädchen waren damals alle ungefähr zwei Jahre alt. Seit dem Sturz von Assad hoffen ihre Familien, dass sie zurück nach Hause können. Sidra war im Mai für mehrere Wochen zum ersten Mal seit der Flucht in ihrem Heimatland. Ihre Familie hat großes Heimweh. Am liebsten wollen sie so schnell wie möglich zurück nach Syrien.
Ich bin froh, dass ich Massa, Sidra und Malak kenne. Ihre Gesichter und ihre Geschichten schützen mich davor, von Flüchtlingen oder Geflüchteten im Allgemeinen zu sprechen. Malak ist eine Powerfrau. Sidra eine echte Frohnatur. Sie lacht gerne und traut sich viel zu. Massa ist eher leise und zart. Alle drei wollen lernen und sind ehrgeizig. Es fällt ihnen leicht, Französisch zu sprechen. Dass sie schon früh Deutsch lernen mussten, hilft ihnen wahrscheinlich auch bei dieser Fremdsprache. Sie freuen sich, wenn ich ihnen sage, wie toll sie das machen. Wenn wir uns jetzt im Schulhaus begegnen, grüßen wir uns. Sie merken, dass ich mich für sie interessiere. Das gefällt ihnen. Es sind junge Frauen, die ihr Leben vor sich haben. Die von einer guten Zukunft träumen und die keinerlei Verantwortung dafür haben, dass sie in Deutschland gelandet sind.
Ich bin froh, dass ich Massa, Sidra und Malak kenne. Das schützt mich davor, von ihnen zu sprechen, als seien sie wie ein Paket. Das man einfach wieder zurückschicken kann. Ich käme nie auf die Idee vor ihnen darüber zu streiten, wie man sie am besten wieder loswird. Oder ihnen womöglich vorzuwerfen, dass deutsche Steuergelder ihren Lebensunterhalt sichern. Ich wünsche den dreien und ihren Familien von Herzen, dass sie irgendwann in ihre Heimat zurückkehren können. Und ich wünsche mir auch, dass sie Deutschland in guter Erinnerung behalten – weil wir sie aufgenommen haben, als sie in Not waren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42311