SWR Kultur Wort zum Tag
„Es ist das alte christliche Konzept: Zunächst liebst du die Familie, dann deinen Nächsten, dann deine Gemeinde – und dann die Bürger in deinem Land… Und erst dann sollte man sich auf den Rest der Welt konzentrieren.“ Wow – der Vizepräsident der USA predigt die christliche Liebe. Etwas weniger „Wow“ vielleicht, weil Glaube und Religion in USAmerika ja sowieso viel selbstverständlicher im Gespräch sind und irgendwie im Alltag als hierzulande. Und wie viele andere bezog auch JD Vance sich dabei auf die Bibel – zB auf das Johannes-Evangelium: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jüngerinnen und Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“
Und tatsächlich – es gibt in der alten Theologie Hinweise darauf, dass christliche Liebe sich so verteilt – von innen nach außen sozusagen. Kirchenvater Augustinus hat es die „Ordnung der Liebe“ genannt: „… vornehmlich für jene Sorge zu tragen, die einem durch die Verhältnisse des Ortes, der Zeit oder irgendwelcher anderer Umstände, gleichsam schon durch das Los näher verbunden sind.“ Diese geordnete Liebe würde also bei der Familie anfangen und sich dann allmählich heroisch vorarbeiten zu den eher fernen Nächsten. Das ist erst mal menschlich – und soll niemand überfordern.
Und trotzdem – noch einmal weniger „WOW“ für Mister VicePresident – trotzdem haben der damalige Papst und der damalige Kardinal Robert Prevost ihm widersprochen. Papst Franziskus so: „Christliche Liebe ist keine konzentrische Ausdehnung von Interessen…“ Jesus wolle eine „… Liebe, die eine ausnahmslos für alle offene Geschwisterlichkeit aufbaut.“ (Brief an die US-Bischöfe) Und der Kardinal: „JD Vance liegt falsch.“ (drprevost auf X) Das war damals Kardinal Prevost – inzwischen Papst Leo der Vierzehnte.
Lohnt es sich also, nochmal auf Jesus selbst zu hören: Die ihm nachfolgen, sollen einander lieben und daran erkennbar sein. Keine Rede von Familie zuerst und weiteren Kreisen danach. Und wie ist es mit dem Satz „Liebe deine Nächsten wie dich selbst“? Hört sich doch an wie „zuerst dich – und dann die anderen“. Sagt aber eigentlich doch: Die Liebe sollte immer gleich sein – die zu dir selbst und die zu den anderen Menschen, nah oder fern.
Ja, das ist eine ziemliche Herausforderung; kann sogar überfordern. Aber wer barmherzig mit sich selbst und dann auch mit anderen umgeht, wird auch mit dieser Herausforderung zurechtkommen. Wirkliche Liebe ist eben eigentlich grenzenlos – so grenzenlos wie Gottes Liebe für die Welt und die Menschen.
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