SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

01JUN2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ob das wirklich so stimmt, was man von den allerersten Christen sagt? Dass sie ein „Herz und eine Seele“ waren? Alles gemeinsam hatten? Oder anders gesagt: Dass ausgerechnet diese erste kleine Christengemeinde das Ideal einer kommunistischen Gemeinschaft gelebt haben soll. So beschreibt es jedenfalls ein Text in der Bibel. Ob das tatsächlich so war damals, das wissen wir heute nicht mehr. Aber die kleine Geschichte schildert eben ein Ideal. Ein Zusammenleben, wie es sein könnte unter Menschen.

Um dieses Ideal geht es auch in einem anderen Text, der heute in den katholischen Kirchen verlesen wird. Genau genommen ist er ein inniges Gebet, das Jesus an Gott richtet. „Alle sollen eins sein“, heißt es da. Damit sind natürlich zuerst mal die Christinnen und Christen gemeint. Alle also, die Jesus folgen wollen. Am Ende aber zielt es auf alle Menschen. Egal, wer sie sind und wo sie leben. Alle sollen eins sein. Eine große Einheit der weltweiten Menschenfamilie.

Wie weit wir davon entfernt sind, dass sehe ich jeden Tag, wenn ich die Zeitung aufschlage oder die Nachrichten einschalte. Gesellschaftliche Spaltungen. Und bei uns die wachsende Unfähigkeit, andere Meinungen auszuhalten. Den oder die andere einfach mal anders sein zu lassen. Es ist oft das Bild einer Gemeinschaft, die vergessen hat, dass jede und jeder immer auch auf andere angewiesen ist. Die letztlich aber nicht mehr funktioniert, wenn jeder nur noch sich selbst sieht und an sich selber denkt.

Wenn ich etwas länger über das Eins-Sein nachdenke, dann wird mir aber auch bewusst, dass das nicht so einfach ist. Denn Einheit ist ja kein gleichförmiger Einheitsbrei. Unter dem Vorwand, dass alles eins sein muss, sind schon furchtbare Dinge geschehen. Geschehen heute noch in vielen Ländern. Wo totalitäre Systeme an die Macht kommen, versuchen sie, Menschen möglichst gleichzuschalten. Alle sollen dasselbe sagen, dasselbe denken, derselben Ideologie folgen. Wer abweicht wird geächtet. Im schlimmsten Fall bestraft, weggesperrt oder umgebracht. In Deutschland haben wir das von 1933 bis 1989 in zwei Diktaturen erlebt. In Russland und vielen anderen Staaten der Erde erleben es die Menschen heute. Allerdings wird dort auch nicht Einheit erwartet, sondern Einheitlichkeit, Uniformität. Nicht Weite sondern Kleingeist.

Und auch die Kirche, die sich auf diesen Jesus beruft, seine Botschaft weitertragen will, hat immer wieder kläglich versagt. Hat schon bald die befreiende Botschaft Jesu in ein Korsett aus Dogmen und Katechismussätzen gezwängt. Hat Menschen drangsaliert und gequält, die das nicht glauben konnten oder wollten. Hat anders Glaubende bekämpft. Statt Eins-Sein in Gott auch hier viel zu oft Uniformität. Gleichförmigkeit. Einheit meint aber mehr. Wie könnte sie also aussehen, eine Einheit in der bunten Vielfalt?

 

 

 

Eins sein sollen sie, die Jüngerinnen und Jünger Jesu. Darum bittet er selbst in einem Gebet, das er an Gott richtet. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, heißt es da. Vermutlich war auch Jesus aber klar, dass die Truppe, die sich da um ihn versammelt hatte, ziemlich bunt war. Divers würde man heute vielleicht sagen. Fischer und Zolleintreiber waren ebenso dabei wie Frauen, die damals öffentlich nichts zu melden hatten. Sogar ein paar jüdische Würdenträger bewunderten ihn, auch wenn sie nicht mit ihm umherzogen.

Wenn ich heute höre, was Jesus seinen Anhängerinnen und Anhängern gesagt und wie er es vorgelebt hat, dann finde ich das durchaus attraktiv. Bei näherem Hinsehen allerdings auch alles andere als einfach. Leute, die ich absolut nicht ausstehen kann und sie mich auch nicht. Ausgerechnet denen soll ich Gutes tun? Menschen, mit denen ich total zerstritten, ja verfeindet bin. Die soll ich lieben? Ein Leben, wie Jesus es predigt. Das ist für die Meisten wohl ein ziemlich hoher Anspruch. Auch für mich. Und ich glaube, dass ihm und seinen Anhängern klar war, dass das auch für das Eins-Sein gilt. Sonst gäbe es dieses innige Gebet um Einheit wohl nicht.

Denn Eins zu sein, das schließt Widersprüche nicht aus. Eins sein können Menschen auch dann, wenn sie ganz unterschiedlich sind. Wenn sie andere Vorlieben haben. In unterschiedlichen Lebensformen leben. Politisch überhaupt nicht einer Meinung sind. Da kann es dann durchaus mal krachen. Kann Streit und Konflikte geben. Und trotzdem können Menschen eins sein. Wenn sie bereit sind, trotz allem zusammenzuhalten. Und sich an ein paar universellen Werte orientieren, die nicht verhandelbar sind. Etwa, dass jede und jeder eine Würde hat, die heilig ist. Unantastbar. Weil jede und jeder ein Abbild Gottes ist. Dass jede und jeder ein Recht hat zu leben, so, wie sie oder er es möchte. Weil Menschen grundsätzlich frei sind vor Gott. Dass die eigene Freiheit aber da enden muss, wo ich andere bedränge und einschüchtere.

Eins sein. Wenn das klappen soll, dann geht es wohl nur, wo Menschen offen, tolerant und rücksichtsvoll miteinander umgehen, allen Differenzen zum Trotz. Und verbunden mit einer großen Portion Barmherzigkeit. Barmherzig mit den Schrullen und Schwächen der anderen. Und auch mit meinen eigenen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42270
weiterlesen...