SWR Kultur Wort zum Tag

30MAI2025
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Ängste können lähmen und gleichzeitig lassen sie einen nicht zur Ruhe kommen. Das kostet so viel Kraft. Ich habe oft Angst. Es sind immer wieder andere Ängste. Von Kindesbeinen an. Oft habe ich Angst, ich könnte es Menschen nicht recht machen.

Neulich habe ich was dazugelernt. Bei der Obst- und Gemüsehändlerin, bei der ich oft einkaufe. Ich stehe im Laden vor ihrem Verkaufstisch. Und ehe ich sagen kann, was ich will, fragt sie mich: Wie geht es Ihnen? Es entwickelt sich ein intensives Gespräch. Aber ich sehe auch die Frau hinter mir und denke: „Die hat nur ein paar Orangen in der Hand und will zahlen. Die kann nicht länger warten. Die will bestimmt schnell weiter.“

Da ist sie wieder – die Angst. In dem Fall die Angst davor, andere zu lange aufzuhalten. Ich habe mich umgedreht und sie gefragt: „Wollen Sie vor...?“ „Nein, nein, machen Sie nur...!“, hat sie geantwortet. Nach ein paar Sätzen hat mich schon wieder die Angst beschlichen, ich könnte sie verärgern. Hab mich also wieder fragend umgedreht.

Und da hat sie mir klipp und klar gesagt – in resolutem Norddeutsch: „Haben Sie mal nicht soviel Angst! Machen Sie mal ein paar Löcher in ihre Ängste, dann sehen Sie: Mensch, da kommt ja Licht durch!“

Rumms. Das hat gesessen. Sie hat es in einem Satz auf den Punkt gebracht: Ein paar Löcher rein – und Ängste werden durchlässig – für Licht und Leben. Was mir an ihrem Spruch so gutgetan hat: Ängste lassen sich nicht mit einem Mal ganz und gar vertreiben. Aber kleine Löcher können sie mildern und abschwächen.

Manchmal sind es übertriebene oder auch nur eingebildete Ängste. So wie in diesem Fall. Aber vielleicht hilft dieser Rat auch gegen die großen Ängste, die tief und schwer gründen. Ich werde in Zukunft ein Psalmwort einsetzen – als Löcherbohrer gegen meine Ängste:  „Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten...?“  (Psalm 27,1) – damit das Lähmende, Erstarrende nachlässt. Damit meine Ängste durchlässig werden für Helles und Belebendes. Das liegt oft ja näher, als man denkt. So nah wie die Frau hinter mir. Die hat meine unnötige Angst wunderbar perforiert.

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