SWR1 Begegnungen

19JUN2025
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Tanya Raab (links) und Sabine Winkler copyright: Sabine Winkler

Fronleichnam – ein Fest, an dem ich als Christin durch die Straßen ziehe und zeige: Mein Glaube gehört in die Welt. In den Alltag. Dorthin, wo ich lebe, liebe und Verantwortung trage, auch als Mutter.

Tanya Raab tut das auch: als Mutter, als Jüdin – und auf Instagram:

Hey, ich zeige euch, wie ich mein jüdisches Leben lebe.

Auf ihrem Profil „oy_jewish_mamma“ macht sie sichtbar, was sonst oft verborgen bleibt: jüdischer Alltag in Deutschland.

Tanya ist Influencerin und Buchautorin – und eben auch Mutter. Wie ich. Unsere Töchter sind im gleichen Alter. Und wir fragen uns beide: Wie geben wir unseren Kindern etwas mit, das uns selbst trägt? Unseren Glauben. Etwas, das hält – in einer Welt, die oft unübersichtlich ist.

erarbeitet:

„Ich persönlich bin ja in einem nichtreligiösen Haushalt aufgewachsen und fand das immer schade. Ich hätte mir mehr Glaubenspraxis irgendwie gewünscht.“

Als Kind spürt Tanya, wie sehr sie für Spiritualität offen ist – bei ihren christlichen Freunden erlebt sie zum ersten Mal, wie sich gelebter Glaube anfühlen kann.

"diese Rituale, auch zusammen beten und in die Kirche gehen. Und ich habe sie immer sehr darum beneidet, weil ich wusste, es ist nicht meine Religion."

Und dann erzählt sie, wie sie mit 16 Jahren mit ihrem Großvater nach Israel gereist ist:

 „Überall jüdische Gegenstände, Leute mit Kippa, auch Frauen – ich war so: Wow. Krass. Ich bin im Paradies.“

Damals beschloss sie, sich das, was sie vermisste, selbst aufzubauen:

„Wenn ich von zuhause ausziehe, mache ich mir meine kleine jüdische Oase in meiner Wohnung. So einen kleinen jüdischen Safe Space. Eben, dass mein Kind auch damit groß wird.“

Tanya Raab erzählt mir, wie ihre Tochter kleine Rituale lernt. Shabbatkerzen, die Mesusa an der Tür zum Kinderzimmer – diese kleine Holzkapsel, die an die Gebote Gottes erinnert – sie hängt dort auf Augenhöhe, damit ihre Tochter sie selbst berühren kann. Sie sagt:

 „Das Judentum ist so eine Religion des Machens. Es geht viel um Rituale, um Tradition – die so einfach im Alltag gemacht werden.“

Auch nichtreligiöse jüdische Familien zünden Shabbatkerzen an oder stellen eine Chanukkia, einen achtarmigen Leuchter, ins Fenster. Weil es ein Teil von ihnen ist.

Vielleicht unterscheiden wir uns hier: Als Christin spreche ich eher über den Glauben. Tanya macht ihn – in kleinen Gesten, im Alltag ganz selbstverständlich.

 „Wir machen jeden Freitagabend, das hat sich bei uns einfach als Tradition etabliert, machen wir einen Pizzaabend. Und für meine Tochter ist mittlerweile so mit dieser Pizza und diesen Kerzen verbunden, dass wenn wir außerhalb dieses Rahmens Pizza machen, dass sie sagt, die Kerzen fehlen.“

Für Tanya ist das mehr als ein Pizzaabend. Es ist ein Ritual. Ein Zeichen. Und ein Anfang.

Auf ihrem Instagram-Kanal zeigt Tanya nicht nur, wie ihr jüdischer Glaube im Alltag Platz findet – sie erklärt auch, warum das nicht selbstverständlich ist. Jüdisch zu leben, sichtbar und offen, ist in Deutschland alles andere als leicht.

 „In jede Kirche kannst du halt einfach reingehen. Das ist bei einer Synagoge dann doch eher schwierig.“

Hohe Sicherheitsauflagen bei Veranstaltungen führen dazu, dass viele ihr Jüdischsein nicht offen zeigen.

„Viele jüdische Leute, die sind halt nicht so scharf drauf, dass man Fotos von denen macht, weil zum Beispiel niemand in deren Umfeld weiß, dass sie jüdisch sind.“

Aus Selbstschutz ziehen sich viele jüdische Menschen zurück. Sie zeigen sich nicht. Und wenn Jüdischsein nicht sichtbar ist, dann bleibt es für viele fremd. Und was fremd wirkt, macht oft Angst – oder lässt Raum für Vorurteile und Antisemitismus…

In ihrem Buch „Shalom zusammen“ will Tanya Raab Vorurteile abbauen. Den Untertitel hat sie bewusst gewählt:

"Warum wir falsche Vorstellungen von jüdischem Leben haben und           das gemeinsam ändern sollten".  

Sie zeigt, wie ihr jüdischer Alltag aussieht, erzählt von Erfahrungen mit Antisemitismus und von der Angst vor dem Unbekannten.

Das war auch einer der Gründe, warum ich mein Buch geschrieben habe – um das halt so ein bisschen aufzubrechen. Anfangs haben wir oft darüber diskutiert, ob wir schreiben: ‚was ihr ändern solltet‘ – oder ‚was wir ändern sollten‘. Dann habe ich gesagt: Natürlich schreiben wir: Wir. Denn wir sind ja eine Gesellschaft. Es gibt kein Ihr und Wir.“

Und doch: Das jüdische „Wir“ bringt eine Geschichte mit, die anders ist – geprägt durch Verfolgung und Schmerz:  


Jüdische Identität ist eben immer zwangsläufig mit Antisemitismus und mit diesem Leid jüdischer Menschen über Generationen hinweg einfach verbunden. Die Geschichten unserer Familien sind immer von Vertreibung, von Flucht, Holocaust usw. geprägt.“

Und deshalb ist für Tanya auch der Kampf gegen Antisemitismus so wichtig. 

Ich glaube, das ist der Punkt, den wir betonen müssen, dass jüdische Menschen trotz dieses Leidens immer noch da sind, immer noch ihre Traditionen leben und jüdische Menschen haben das immer geschafft, da raus zukommen und diese Selbstermächtigung zu haben.“

Es sind zwei Welten, in denen Tanya und ich leben, zwei unterschiedliche Erfahrungen, die wir als Glaubende erleben: Als Christin bin ich Teil einer Religion, die in Deutschland weithin sichtbar ist. Tanya gehört zu einer, deren Spuren man oft nur dann erkennt, wenn man genau hinschaut.

Und wir beide sind Mütter.

Ich denke an meine Kinder. An das, was sie einmal fragen werden. Und an das, was sie heute schon spüren – durch uns Erwachsene. 

Vielleicht ist genau das unsere Aufgabe - als Mütter, als Gesellschaft, als Christen: Räume zu schaffen, in denen Menschen sein dürfen, wer sie sind.

Fronleichnam erinnert uns daran: Glaube gehört in die Welt. Auch bei jüdischen Menschen in Deutschland. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42266
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