Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es ist immer spannend, wenn Paare berichten, wie ihre Liebe begonnen hat. Meine Frau erzählt bei solchen Gelegenheiten gerne, dass sie mich in der ersten Zeit ganz und gar nicht mochte. Ich kam als Neuer in ihre Jugendgruppe, und sie hielt mich für arrogant - was ich aus meiner Sicht gar nicht war! Im Laufe der Zeit hat sie mich dann auch anders sehen gelernt. Nicht nur von außen, von der Fassade her. Das war ganz entscheidend, denn auf diese Weise hat sie mich lieben gelernt.
Liebe ist nicht nur im Leben von uns Menschen ein Hauptthema, sondern auch in der Bibel ein ganz zentraler Begriff. „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das sind Worte aus der Bergpredigt, die die meisten wohl schon einmal gehört haben. Ja, sogar unsere Feinde sollen wir lieben, heißt es dort. Aber kann man denn jemanden lieben, wenn die Gefühle eine andere Sprache sprechen? Kann man überhaupt zur Liebe auffordern, wie die Bibel das tut? Kommt die Liebe nicht einfach so?
Liebe wird oft als etwas Schicksalhaftes verstanden. Man ist ihr ausgeliefert wie dem Wetter. Wenn die Sonne scheint, muss man sie genießen. Wenn es regnet, ist es eben vorbei mit dem schönen Wetter. Wenn man verliebt ist, kann man sich nicht dagegen wehren. Und vielleicht sage ich schon einige Zeit später: Ich kann den Menschen einfach nicht mehr lieben.
Doch die Liebe von der die Bibel redet, ist kein romantisches Gefühl das über mich kommt und mich wieder verlässt. Genau so wenig ist sie etwas, das ich hervorbringe, indem ich mir Mühe gebe. Worum geht es dann?
Liebe bedeutet in der Bibel, den anderen aus einem neuen Blickwinkel, mit anderen Augen zu sehen, nämlich aus Gottes Perspektive. Es ist als sagte Gott: Komm einmal zu mir herüber und schau dir die Menschen aus meiner Sicht an. Siehst du deine ehrgeizige Kollegin dort? Ja, ich weiß, wie Dich ihr zickiges Gehabe nervt und wie viel Druck sie verbreitet. Aber siehst du auch, dass dieser Druck in ihr selbst steckt und ihr zu schaffen macht? - Und dort der andere, der auf dich so arrogant und unnahbar wirkt. Siehst du die Unruhe und Unsicherheit, die in ihm flackert. Er braucht die Distanz als Schutz. Und er leidet selbst darunter, dass er nicht unbefangen mit anderen umgehen kann. Und der aggressive Typ dort drüben – Was meinst du, was der alles schon durchgemacht hat, bis er so geworden ist. Möchtest Du mit ihm tauschen?
So sind Menschen, sagt Gott. Unter der rauen oder auch glänzenden Oberfläche stecken Leute mit ihren Ängsten, Verletzungen und Widersprüchen. Und Du bist kein bisschen anders. Ich kenne dich durch und durch. Und ich liebe dich. Trotzdem.
Wetten dass es uns positiv verändert, wenn Gott uns einen solchen Blickwechsel für uns selbst und für unser Umfeld ermöglicht? So wie bei meiner Frau, damals als wir uns kennen lernten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4223
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