SWR1 Begegnungen

29MAI2025
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Prof. Dr. Christian Volkmar Witt

Martina Steinbrecher trifft Professor Christian Witt

Der Kirchenhistoriker aus Tübingen kennt sich aus mit dem wohl berühmtesten protestantischen Promipaar des 16. Jahrhunderts: Martin Luther und Katharina von Bora. Die Hochzeit der beiden am 13. Juni 1525 jährt sich bald zum 500. Mal. Dass der ehemalige Mönch eine entlaufene Nonne geheiratet hat, war für viele seiner Zeitgenossen ein echter Skandal. Und allzu viel Romantik, verrät Christian Witt, war dabei auch nicht im Spiel.

Katharina von Bora war einfach übrig. Es sind ja insgesamt zwölf Nonnen aus dem Kloster Marienthron herausgeschmuggelt worden. Luther fühlte sich nach dieser Befreiungsaktion ein Stück weit verpflichtet. Er konnte jetzt nicht sagen: Ich hab‘ sie aus dem Kloster geholt, und jetzt bleibt sie sozusagen sitzen und muss sehen, wo sie bleibt. Und wir wissen von Luther selbst, dass er auch ganz andere der damals in Wittenberg vorfindlichen Nonnen im Auge hatte. Die wollten ihn aber nicht.

Hat Luther Torschlusspanik? Plagt ihn ein schlechtes Gewissen? Oder geht er halt eine Vernunftehe ein? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Die Eheschließung der beiden ist aber viel mehr als eine rein persönliche Angelegenheit. Denn der Reformator bricht nicht einfach mit den Konventionen seiner Zeit, sondern stellt das jahrhundertelang vorherrschende Lebensideal der Ehelosigkeit infrage. Und rüttelt damit einmal mehr an den Grundfesten der Kirche.

Für Luther ist das eigentliche Lebensideal eben gerade die Ehe. Es ist Teil der guten Ordnung Gottes, dass wir miteinander in die Ehe treten, miteinander schlafen, Sexualität leben, miteinander Evangelium in Wort und Tat eben verkündigen.

Geht das so einfach? Vom enthaltsamen Mönch zum Partner und Familienvater? Im Luther-Film der Regisseurin Julia von Heinz aus dem Jahr 2017 ist es Katharina, die in der Hochzeitsnacht die Initiative ergreift und ihren unbeholfenen Ehemann selbstbewusst in die Geheimnisse der körperlichen Liebe einführt. Das mag ein feministischer Blick auf die beiden ist, aber in anderer Hinsicht gleicht die Ehe von Martin und Katharina durchaus modernen Vorstellungen von einer Beziehung auf Augenhöhe

Die beiden waren ein gutes Team. Luther fasst Vertrauen. Er verehrt seine Frau, er hat regelmäßig auch Angst um seine Frau er kümmert sich, er lässt ihr aber auch ihre eigenen Zuständigkeitsbereiche, und bei Katharina von Bora ist es umgekehrt genauso. Luther kannte sich schlicht mit Geld nicht aus, hatte dazu ein katastrophales Verhältnis, da lagen die Talente eben ganz klar auf der Seite seiner Frau. Er wusste das zu schätzen und ließ ihr entsprechend die Räume. Die hatten ein tiefes inneres Verständnis füreinander. Sie wusste mit ihrem Martin umzugehen, und Martin wusste eben auch mit seinem „Herrn Käthe“ umzugehen.

Martin Luther und Katharina von Bora haben ein neues Lebensmodell erprobt. Denn nicht in einer Klosterzelle, sondern in ihrer Beziehung und in ihrer Familie wollen sie ein gottgefälliges Leben führen mit allen Höhen und Tiefen. 

Von einer innovativen Lebensform hat sich die Ehe im 21. Jahrhundert längst fortentwickelt. Vielen gilt sie als ein eigentlich überholtes bürgerliches Relikt. Können Luthers Gedanken da noch etwas zur aktuellen Diskussion über Lebensformen beitragen? Christian Witt führt mindestens zwei Punkte an, die Luthers Überlegungen auch für Christen im 21. Jahrhundert anschlussfähig machen:

Luther kann die Scheidung einer vollgültigen Ehe denken. Wenn die Eheleute sich selber das Evangelium nicht mehr verkündigen oder einander stabilisierend zusprechen können in Wort und Tat, und das meint nicht, aus der Bibel vorlesen, das meint, wie gesagt, Glauben und Vertrauen einander schenken und Leben miteinander, dann ist die Ehe zu scheiden und eine Neuverheiratung zu ermöglichen.

So viel seelsorglichen Realismus im Umgang mit scheiternden Lebensentwürfen hätte man sich in den letzten Jahrzehnten auch in der evangelischen Kirche viel häufiger gewünscht. Und denkt man Luthers Eheverständnis konsequent weiter, meint Christian Witt, dann wäre er heute auch ein Befürworter für die kirchliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Denn die Ehe …

…sie ist ja gerade nicht auf Fortpflanzung primär angelegt. Schön, wenn es dazu kommt, muss aber gar nicht sein. Sie hat ihren gottgewollten Sinn und Zweck in der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. Und dafür muss man jetzt nicht verschiedenen Geschlechts sein.

In einer vertrauensvollen Zweierbeziehung können Menschen erfahren, was Liebe ist, und zugleich eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, dass Gott den Menschen in Liebe zugewandt ist. Deshalb sieht Christian Witt die bleibende Aufgabe der Kirche darin, Menschen immer wieder neu nahezubringen ….

… warum es ein schöner Gedanke sein kann, die Liebe, auf die man bei Gott vertrauen darf, auch in dem Menschen zu sehen und dem Menschen selbst zu gewähren, der mir da oder die mir da jeden Tag wieder gegenübersitzt, mit mir Alltag gestaltet, die mich hält, die mich birgt, die mir vertraut und der ich vertrauen darf. Ich finde, das ist ein bezaubernder Gedanke!

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