SWR4 Abendgedanken
Geschenke sind dazu da, ausgepackt zu werden. Das weiß jedes Kind. Und ich kenne auch kein Kind, das auf die Idee käme, ein tolles Päckchen erst mal ganz nach hinten in den Schrank zu stellen und am Ende sogar zu vergessen.
Aber genau das habe ich dummerweise gemacht – und zwar mit dem Mut, der mir geschenkt ist. Genauer gesagt, ich hatte vergessen, was ich eigentlich kann, was ich mir mit Gottes Hilfe zutraue.
Ich war auf einen Dachstuhl geklettert. Um etwas zu kontrollieren und natürlich auch aus reiner Neugier, denn schließlich ist es immer spannend zu wissen, was sich unterm Dach oder hinter irgendwelchen Türen verbirgt. Es war ein besonderer Dachstuhl, so einer, der ziemlich hoch ist - so einer, bei dem ich auf Balken gehen und über Zwischenräume balancieren musste.
Bevor die Klettertour losging, habe ich noch gedacht: Kein Problem. Und bin durch eine Luke ins Gestühl geklettert und dann Sprosse für Sprosse auf die nächste Ebene hinauf. Aber spätestens hier ging es los und ich habe angefangen zu denken: Wie konntest Du nur? - Was hier alles passieren kann! – Muss das wirklich sein?
Zu spät! Denn nun war ich oben. Das Herz ist mir in die Hose gerutscht und ich habe gemerkt, dass ich meinen Mut wohl ganz hinten im Schrank meiner Seele vergraben und vergessen hatte.
Nun ging nichts mehr. Weder vor noch zurück, weder nach oben oder nach unten. Ich bin einfach nur im Dachstuhl gestanden.
Nach einer Weile habe ich mich an meinen Mut erinnert, der in mir doch schlummert. Ich habe ihn aus dem Schrank hervorgekramt: Dann habe mir ein Herz gefasst und habe mich in Bewegung gesetzt. Ganz langsam. Mit einem mulmigen Gefühl. Doch mit jedem Schritt wurde es besser, leichter.
„Er mache euch im Herzen Mut und gebe euch Kraft zum Guten in Wort und Tat.“ [1] So kann ich in der Bibel lesen. Und genau das habe ich erfahren. Mut ist ein Geschenk, ich kann ihn nicht machen. Ich kann mir nicht sagen: Sei jetzt mutig. Ich muss mein Herz dafür öffnen. Gott legt den Mut in mich hinein. Und so ausgestattet mit göttlichem Mut sollte ich doch einiges schaffen!
Mich an den Mut zu erinnern, der in mir schlummert – das hat mir geholfen. Gott hat ihn mir geschenkt.
Dieses Geschenk werde ich nicht nochmals vergessen. Aber ich sollte trotz allem nächstens vorher überlegen, was ich mir mit diesem Mut zutraue und was nicht. Denn nicht alles, was ich mutig angehe, ist unbedingt nötig. Aber manchmal ist es einfach lehrreich.
[1] 1. Thessalonicherbrief 2,17 (Basisbibel)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42220