Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19MAI2025
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Es regnet in Strömen. Ich will am liebsten auswandern. Zumindest für einen Tag. Irgendwohin, wo die Sonne scheint. Stattdessen bin ich auf dem Weg ins Büro. Mit dem Regenschirm versuche ich mich möglichst gut vor dem Regen zu schützen. Klappt so semi-gut. Was für eine Wasserschlacht.

Meine Kollegin hat gestern schon angekündigt, dass es den ganzen Tag regnen soll. Am liebsten will ich Beschwerde einreichen. Ich schreibe ihr eine entsprechende Nachricht. Sie schickt mir ein Sonnen-Emoji zurück.

Vor mir läuft ein Mädchen durch den Regen. Es hat keinen Regenschirm dabei. Das scheint ihr allerdings gar nichts auszumachen. Sie folgt mit ihrem Blick einem kleinen Bächlein, das sich im Rinnstein gebildet hat. Plötzlich hält das Mädchen inne. Ich bin neugierig. Was hat sie da entdeckt?

Jetzt sehe ich es auch. Im Wasser treibt ein Regenwurm. Das Mädchen nimmt sich ein Stöckchen. Ganz vorsichtig hebt sie den Regenwurm aus dem Wasser und bringt ihn zur Wiese ein paar Schritte weiter. Ich werde Zeuge einer ausgewachsenen Rettungsaktion.

Mich fasziniert, was ich sehe. Kurzzeitig betrachte auch ich die Welt durch Kinderaugen. Da laden Pfützen zum Springen ein. Regenbäche verheißen Abenteuer. Überall gibt es etwas zu entdecken. Und selbst klitzekleine Dinge wie ein Regenwurm verdienen Aufmerksamkeit und Zuwendung.

Es ist wie kurz die Pausetaste drücken. Sonst haste ich oft durch den Tag. Will bloß nicht unterbrochen werde. Augen zu und durch. Manchmal werde ich kurz aufmerksam, aber keine Zeit. Oder: Bringt doch nichts. Dem ist eh nicht zu helfen. Und für alles und jeden kann ich ja nun wirklich nicht da sein.

Natürlich ist da auch was dran. Ich kann nicht jedem helfen. Aber deshalb die Augen verschließen und gleichgültig an allem und jedem vorbeigehen?

Bevor ich weitergehe, spreche ich das Mädchen noch kurz an: „Hej Du, ich habe gesehen, wie du den Regenwurm gerettet hast.“ Das Mädchen schmunzelt. „Find ich richtig gut, dass du diesem kleinen Lebewesen geholfen hast. Danke.“

Ich glaube, dass auch Gott die Welt liebevoll im Blick hat. Und sie zum Guten bewegt. Mit uns zusammen. Es müssen nicht die großen Dinge sein. Manchmal ist es ein Regenwurm, der aus dem Wasser gerettet wird. Oder ein Kompliment, das ich jemandem mache.

Nach dieser Begegnung mit dem Mädchen gehe ich ein bisschen anders durch den Tag. Und ja, auch durch den Regen. Mit offenen Augen für die Menschen, denen ich begegne. Vielleicht sogar etwas mehr bereit, mich berühren und bewegen zu lassen.

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