Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

15MAI2025
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„Wenn man dir von klein an eintrichtert: du musst kämpfen, du darfst niemals aufgeben, dann ist es unglaublich schwer um Hilfe zu bitten, wenn es irgendwann alleine nicht mehr geht.“  Das sagt Jan Ullrich. Der war mal Radprofi, hat 1997 die Tour de France gewonnen.  Und war in einen Dopingskandal verwickelt. Auch dadurch fiel er nach dem Ende seiner Karriere in ein tiefes Loch, bekam Depressionen.  Sich da alleine raus zu kämpfen, ging nicht. Aber es habe lange gedauert, das einzusehen.  Ja, denke ich, als ich das lese, das kenne ich auch: immer alles alleine hinkriegen wollen. Niemanden nach dem Weg fragen, wenn man sich verlaufen hat. Den Schrank aufbauen, obwohl ich die Bauanleitung nur halb verstehe, den Arztbesuch solange aufschieben, bis ich buchstäblich auf allen vieren in die Praxis kriechen muss. Mann –mit zwei „n“ geschrieben- schafft das schließlich alleine. Oder eben doch nicht. Die Bibel erzählt eine Geschichte, in der ein Mann anders handelt und laut um Hilfe schreit. Bartimäus heißt er. Er ist blind und bettelt am Straßenrand. Auf dieser Straße ist Jesus unterwegs, „mit einer großen Menschenmenge“, so erzählt es die Bibel. Ich habe diese Geschichte mal in einer Gruppe in verschiedenen Szenarien nachspielen lassen. In einer Version war Bartimäus ein verbitterter Mann, der von keinem Hilfe wollte mit dem Ergebnis, dass er ein paar Tage später im Straßengraben verhungert.  In einer anderen wird er von den Begleitern Jesu abgewiesen. Er resigniert und bleibt allein zurück. Das Original sieht anders aus: Bartimäus ruft laut um Hilfe. Und als man ihm befiehlt den Mund zu halten ruft er noch lauter: „Hab Erbarmen mit mir!“ Das ist ja noch eine Stufe mehr als um Hilfe zu rufen. Es signalisiert: hier geht es wirklich ums Eingemachte. Und sein Mut und seine Hartnäckigkeit werden belohnt. Er kann wieder sehen und das Leben kann weiter gehen. In der Gruppe haben wir darüber gesprochen, ob man so eine Wundergeschichte auf das alltägliche Leben übertragen kann. „Jein“, kam dabei heraus. Naiver Wunderglaube ist fehl am Platz. Aber den Mut zu finden, um Hilfe zu bitten wenn‘s nötig ist und dafür auch mal lauter zu werden, wenn man beim ersten Mal nicht gehört wird, das kann man schon.  Und darüber hinaus in schweren Lebenssituationen auch einmal Gott um Erbarmen zu bitten in einem kurzen Gebet, das ist einen Versuch wert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42143
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