SWR Kultur Wort zum Tag

01MAI2025
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Heute habe ich frei. Der 1. Mai ist einer der wenigen Feiertage, die auch ich als Pfarrer in vollen Zügen genießen kann. Was kann ich heute Schönes machen?  Ich könnte mich mit Leiterwagen und Bier einer der zahlreichen Maiwanderungen anschließen. Oder in Stuttgart demonstrieren gehen. Für bessere Arbeitsbedingungen und für höhere Mindestlöhne.

Aber zuerst frage ich mich: Haben die Kirchen zu diesem Tag auch etwas zu sagen? Etwas Grundlegendes, vom Glauben her? Auf der Suche nach einer Antwort bin ich auf einen Gedanken gestoßen, der mich fasziniert:  

Wir alle stehen in unseren Berufen in einer unaufhebbaren Spannung. Einerseits sollen wir den Beruf so gut ausüben, wie wir können. Als Busfahrer oder als Biolehrerin. Mit allen Herausforderungen und Pflichten. Denn jeder Beruf ist eine Berufung. Nicht nur Pfarrer und andere kirchliche Menschen sind berufen. Auch jeder Busfahrer ist dazu berufen, seinen Beruf möglichst gut zu machen.

Andererseits hat jeder auch eine umfassende Verantwortung in seinem Beruf. Die Verantwortung zielt nicht nur darauf, dass ich fachlich gut bin. Sie ist umfassender. Sie ist meine Antwort auf Gottes Gegenwart. Eine mir von Gott gegebene Aufgabe, für eine bessere Welt zu arbeiten. Da kann es durchaus sein, dass ich mehr machen muss als das, was im engeren Sinne zu meinen Berufspflichten gehört. Oder sogar etwas, das im Widerspruch dazu steht.

Diese Überlegungen stammen von Dietrich Bonhoeffer, dem berühmten Widerstandskämpfer und Theologen aus dem sogenannten 3. Reich. Bonhoeffer bringt ein Beispiel aus seiner eigenen Zeit. Von vielen Ärzten haben die Nazis erwartet, an Menschen mit Behinderung qualvolle Experimente durchzuführen. Von einem Christen erwartet Bonhoeffer, dass er diesem Auftrag nicht nachkommt. Und vielleicht sogar den Mut hat, gegen diesen menschenverachtenden Auftrag zu protestieren.

Heute leben wir nicht mehr in einer Diktatur. Trotzdem stellt sich auch uns die Frage: Wie können wir in unseren Berufen die richtige Antwort auf Gottes Auftrag geben? Wenn ich Busfahrer bin – wie viel Zeit nehme ich mir, um eine alte Frau in Ruhe in den Bus zu geleiten? Oder als Biolehrerin: Sehe ich Schüler vor allem als Objekte, denen Wissen vermittelt werden soll?  Oder auch als sich entwickelnde Persönlichkeiten, denen ich gerecht werden möchte?  

Wie übernehme ich in meinem Beruf so Verantwortung, dass ich angemessen auf Gottes Gegenwart antworte? Ich glaube, diese Frage nehme ich heute mit auf meine Maiwanderung. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=42083
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